Die Kritiker

«Das Leben danach»

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Mit «Das Leben Danach» liefert Das Erste ein schockierendes, anspruchsvolles und realistisches Drama, das die Opfer der Loveparade in den Mittelpunkt rückt.

Cast & Crew

  • Darsteller: Jella Haase, Carlo Ljubek, Jeremias Meyer, Martin Brambach, Christina Große u.a.
  • Musik: Sven Rossenbach und Florian van Volxem
  • Kamera: Alexander Fischerkoesen
  • Buch: Eva Zahn und Volker A. Zahn
  • Regie: Nicole Weegmann
  • Produktion: Polyphon Film- und Fernsehgesellschaft
  • mbH
Knapp sieben Jahre ist her, dass bei der Loveparade am 24. Juli 2010 21 Menschen tödlich verunglückten und hunderte verletzt wurden. Die juristische Aufklärung der Tragödie dauert bis heute an: denn auch 2017 sind die Hintergründe weiterhin ungeklärt, genauso wie bisher noch keiner der Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurde. Erst im Dezember dieses Jahres beginnt die gerichtliche Aufarbeitung der Schuldfrage. Die Betroffenen leiden hingegen noch heute unter der Katastrophe. «Das Leben Danach» rückt nun nicht den Verlauf des Geschehens in den Mittelpunkt, sondern (wie der klug gewählte Titel schon ankündigt) diejenigen, die die Loveparade überlebt und noch heute mit den Folgen des Erlebten zu kämpfen haben.

Antonia Schneider (Jella Haase) ist dabei Sinnbild für viele junge Menschen, die die Loveparade besuchten, um zu feiern und Spaß zu haben. Sie steht kurz vor dem Abitur und hat ambitionierte Pläne für ihre Zukunft – bis sie in den Tunnel der Duisburger Loveparade gerät. Auch sieben Jahre später hat sie die traumatischen Erlebnisse noch nicht verarbeitet. An ein normales Leben ist nicht zu denken, denn immer wieder wird Tony von Panikattacken, Albträumen und Erinnerungen geplagt, genauso wie von Trauer und Zerstörungswut. Wut auf die Verantwortlichen, die auch heute noch nicht für schuldig empfunden wurden. Doch nicht nur Antonia leidet unter ihrem Trauma, auch ihr Vater Thomas (Martin Brambach) und ihre Stiefmutter Kati (Christina Große) wissen nicht, wie sie ihr helfen sollen und sind mit ihren Kräften am Ende. In dem Taxifahrer Sasha Reinhard (Carlo Ljubek), der sie dabei erwischt wie sie die Gedenkstätte der Loveparade-Opfer zerstört, findet sie kurzzeitig Halt. Auch er behauptet mitten im Geschehen gewesen zu sein. Eine Lüge, wie sich bald herausstellt und ihn zur Zielscheibe von Antonias Wut macht, die daraufhin einen gemeinen Racheplan schmiedet, der sogar seinen Sohn Jasper (Jeremias Meyer) betrifft.

Die Stärke von «Das Leben Danach» liegt darin, dass die beiden Produzenten Valentin Holch und Christoph Bicker nicht versuchen zu klären, wer nun Schuld an der Katastrophe hat, sondern sich intensiv mit den Betroffenen und deren Innenleben auseinandersetzen. Dabei kommen aber auch die Angehörigen nicht zu kurz, die in vielen Filmen gerne vergessen werden, aber genauso stark unter der Situation leiden. Während die Augenzeugen ihr Leben lang unter dem erlittenen Trauma leiden und nicht nur von Panikattacken und Albträumen heimgesucht werden, die es ihnen unmöglich machen, einem normalen Leben nachzugehen, fühlen sich auch Familie und Freunde machtlos und zerbrechen unter dieser enormen Mammutaufgabe. «Das Leben danach» gelingt es beides perfekt einzufangen, auch wenn bisweilen der Fokus etwas intensiver auf Antonia Schneider liegt. Ihre Verzweiflung, Trauer, Hilflosigkeit und Wut werden dabei mit dunklen und beklemmenden Bildern unterlegt, die immer wieder von Erinnerungsfetzen an die Katastrophe unterbrochen werden. Dabei sind es schon kleine Dinge, die die traumatischen Erlebnisse wieder zum Vorschein holen und Antonia komplett aus dem Konzept werfen. Holch und Bicker fangen all diese Momente schonungslos realistisch ein und versuchen nicht die Probleme und das Leid der Hauptfigur zu beschönigen.

Tony ist nicht tough, frech oder vorlaut wie man es sonst in Filmen dieser Art gewöhnt ist, sondern gebrochen und leidet unter psychischen Problemen. Therapien und Hilfsgruppen konnten ihr bisher nur wenig weiterhelfen, sodass jeder Tag zum Kampf wird, bei dem sie genau spürt, was sie ihrem Umfeld abverlangt. All dies wird perfekt eingefangen von Jella Haase, die schon in «Fack Ju Göthe» die Kinogänger von sich überzeugen konnte. In «Das Leben Danach» zeigt sie jedoch eine ganz andere Seite von sich: verletzlich, traumatisiert, aber gegen Ende doch kämpferisch. Ihr Minenspiel ist dabei in jeder Szene überragend und sie beweist so erneut, was schon viele Kritiker feststellten: Haase zählt zu den talentiertesten Jungschauspielern Deutschlands. Die Rolle der Antonia Schneider spielt sie mit einer unglaublichen Intensität, die den Film noch erschreckender und realistischer macht und zum Nachdenken anregt. Den gesamten Entstehungsprozess über begleitete nicht nur eine Trauma-Therapeutin die Dreharbeiten, sondern im Vorfeld haben die Produzenten auch intensive Gespräche mit Betroffenen geführt, deren Geschichten als Vorlage für den Fernsehfilm dienten und ihn sicherlich auch deshalb so realistisch wirken lässt.

Sasha Reinhard gestaltet sich zu Beginn hingegen als Mysterium für den Zuschauer. Über die wahren Absichten des Taxifahrers werden die Fernsehenden zwar im Unklaren gelassen, aber zumindest hier lässt sich schon früh erahnen, in welche Richtung die Enthüllung geht und wie sich die Beziehung zwischen ihm und Antonia entwickeln würde. Dies hat dem Fernsehfilm aber auf keinen Fall geschadet, denn die weiteren Elemente und Wendungen der Handlung kommen völlig unvorhergesehen und münden in ein unkonventionelles Ende. Auf klassische Stereotypen und altbekannte Storylines wird gekonnt verzichtet, genauso wie auf große Effekthascherei. «Das Leben Danach» fesselt das Publikum durch tiefgründige Dialoge, intensive und emotionale Szenen und einen brillanten Cast, der die Figuren glaubhaft zum Leben erweckt. Dabei unterstreicht auch der Soundtrack die Katastrophe, um die es letztlich geht. Immer wieder wird auf Songs zurückgegriffen, die es auf der Loveparade all die Jahre zu hören gab. Dies tut ihr weiteres, um die emotionale Stimmung des Filmes weiter anzuheizen. Am Ende dürfte bei vielen Fernsehzuschauern kein Auge mehr trocken sein, wenn der Abspann über die Bildschirme läuft.

Fazit: Mit «Das Leben Danach» liefern Valentin Holch und Christoph Bicker eine Charakterstudie zweier Opfer der Loveparade, die nicht versucht, die Schuldfrage zu klären, sondern auf schonungslos, realistische Art und Weise aufzeigt, wie sich das Leben der Betroffenen durch die Tragödie verändert hat und mit welchen psychischen Problemen sie heute noch zu kämpfen haben. Antonia ist dabei Sinnbild für viele Jugendliche, die einfach nur einen Tag Spaß haben wollten und sich dann in einem Albtraum wiederfanden. Der ARD-Fernsehfilm überzeugt am Ende durch Unvorhersehbarkeit, einer schonungslos, ehrlichen Darstellung der Thematik, die für den Zuschauer sicherlich nicht immer leicht anzuschauen ist und einer brillanten Jella Haase, die ihre bisher intensivste schauspielerische Leistung abliefert.

Das Erste zeigt den Fernsehfilm «Das Leben danach» am 27. September 2017 um 20.15 Uhr.

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