Etwa alles nur Wahlalltag?
Zähne zeigen? Nur zur Primetime ...
Biss gewann die TV-Wahlberichterstattung erst zur Primetime. Die Elefantenrunde war strittiger als die vergangenen Male und Anne Will demontierte die Plattitüden der AfD sowie das Schuldzuschieben der anderen Parteien in ihrem Talk mit großer Effektivität.Erste Akzente setzen die Sender daher erst in ihren unterschiedlichen Entscheidungen, welche Inhalte sie direkt nach den ersten Prozentbalken anpacken. Das ZDF sinniert etwas länger über die Koalitionsmöglichkeiten, bei RTL schaltet man am raschesten zur SPD und stellt die Frage, wie sie mit ihrem historischen Tief umgeht. Ein paar Minuten wird hier auch am fixesten thematisiert, dass die SPD es vorzieht, in die Opposition zu gehen. Bei Sat.1, wo die Wahlberichterstattung nur wenig Sendezeit eingeräumt bekommt, hat ein Überblick über die spontanen Reaktionen auf den diversen Wahlpartys Priorität. Bei N24 wird als früher Schwerpunkt das Comeback der FDP gesetzt, n-tv ergattert eines der ausführlichsten frühen Interviews mit Martin Schulz, um zu ergründen, ob er Fraktionschef werden will oder sich eher um die Neustrukturierung der Partei kümmern möchte (Antwort: letzteres).
Und dann beginnt schon das Wettrennen der in den Bundestag ziehenden Parteien, wer wie lange mit den Ansprachen ihrer Spitzenkandidaten die Aufmerksamkeit der Sender behält. Auffällig: Fast immer ziehen alle Sender gleich, wobei stets einer aus der Reihe tanzt und erst später hin- oder wegschaltet. Während etwa alle zu Christian Lindner und der FDP-Party schalten, bleibt N24 am längsten bei Martin Schulz und der SPD, das ZDF wiederum schaltet sich am spätesten zur SPD, um länger von Anti-AfD-Protesten zu berichten. Der erste Bericht darüber wird bei N24 indes rasch abgebrochen, als Cem Özdemir zu seiner Ansprache an seine Grünen Parteikollegen ansetzt.
Was bedeutet diese Besonnenheit?
Generell wurde im ersten Gewusel aus Eindrücken, schnellen Analysen und frühen Koalitionstheorien die Frage "Was machen wir mit der AfD?" nur beiläufig angepackt: Alle Sender haschten mit kurzer Aufmerksamkeitsspanne von neuen ersten Reaktionen zu den ersten tiefergehenden Stimme der diversen Parteien und zurück, um den Elefanten im Raum zu adressieren. Erst nach über einer Stunde erster Reaktionen wurden bei den Sendern Gesprächsstoffe mit etwas mehr Ruhe angepackt – und nach und nach wurde bei allen Kanälen auch die AfD-Frage gestellt … Zumeist mit derselben Trockenheit wie die Fragen "Wird die Jamaika-Koalition wirklich eintreffen?" und "Welche Wahlthemen hätten Schulz mehr geholfen?"
Stellt sich die Gegenfrage: Ist diese Nüchternheit, sind die diversen "Man muss die AfD differenziert betrachten"-Thesen der richtige oder der falsche Weg? Ein Blick in die sozialen Medien legt nahe: Eine rückwirkende Patentantwort gibt es jedenfalls nicht. Stimmen der Marke "Durch all eure Anti-AfD-Aufrufe habt ihr denen erst zu Aufmerksamkeit und ihren 13 Prozent verholfen" halten sich mit der Gegenthese "Wir haben nicht genug Aufklärung betrieben!" die Waage.
Die Historie zeigt, dass Stillschweigen während des Aufstiegs des faschistischen Gedankenguts nur ins Elend führt, andererseits ließen sich Politik und Medien in den vergangenen vier Jahren zu sehr von den gezielten AfD-Provokationen steuern. Also ist es wohlvernünftig, nicht direkt bei den Analysen der Wahlergebnisse im Fernsehen betrübliche Stimmung heraufzubeschwören. Das schlägt nur die nieder, die sowas gerade in dem Moment nicht brauchen, und stärkt zugleich jene in ihrem verzerrten Bild, die sich in Hass üben. Doch aller Befürwortung für Raison und dem Vermeiden vorschneller Panik: Wenn ein Gauland im Ersten kurz nach der Bekanntgabe der ersten Zahlen über die künftige Bundesregierung sagt, die AfD werde "sie jagen und unser Land und Volk zurückholen", schockiert es, wie still die TV-Sender ihre Füße am Wahlabend gehalten haben und Themen wie Anti-AfD-Proteste, die Wahlreaktionen bei der Linken oder das erneute Aufzeigen der gefährlichen AfD-Wahlziele an den Rand drängten.
Die sofortige kritische Einordnung der AfD-O-Töne im Laufe des Abends wäre das Mindeste gewesen. Aber von sporadischen Fragen an Spitzenpolitiker abgesehen, wie sie im Bundestagsalltag mit den Rechtspopulisten umgehen werden, war es eben doch ein TV-Wahlabend wie jeder andere. Daran ändern auch die sehr ausführlichen Auseinandersetzungen bei N24 mit den Anti-AfD-Protesten und Michel Friedmans Vorschlägen, wie man die Protestwähler wieder mäßigen könnte, nichts. Denn die erfolgten nach 20 Uhr, als Millionen von Menschen wieder zur Primetimenormalität zurückkehrten. Im Sinne der breiten Wahrnehmung gilt also: Mit zahlreichen Eindrücken davon, wie alle großen Parteien freudig eine Wahlparty abhalten und ihr Ergebnis beklatschen, war es einfach nur eine Bundestagswahl. Traurig.
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