Cast & Crew
Vor der Kamera:Edgar Selge als Johannes Klare
Franziska Walser als Lydia Klare
Jannis Niewöhner als Simon Rützel
Peter Jordan als Volker Reiche
Hinter der Kamera:
Produktion: EIKON Südwest GmbH
Drehbuch: Martin Rosefelt und Pia Marais
Regie: Till Endemann
Kamera: Lars R. Liebold
Produzenten: Michaela Nix und Ernst Ludwig Ganzert
Als die Beiden zusammen mit einigen Gemeindemitgliedern in der Fußgängerzone Flyer verteilen, fällt ihnen der junge Mann Simon (Jannis Niewöhner) auf, der sich als Straßenmusiker mit guter Stimme ein paar Euro zusammenschnorrt. Als sie ihn für ihre Gemeinde gewinnen wollen, lehnt er höflich, aber bestimmt ab. Kurz darauf treffen sie ihn wieder – wie er im Delirium vor dem Gemeindezentrum kauert. Johannes und Lydia nehmen sich seiner an, bringen ihn in ihr Zuhause. Sie wollen es als ihr Schicksal erkennen, Simon auf den rechten Weg zu bringen.
Natürlich verkomplizieren zahlreiche Umstände die Sache: Simon ist schwer drogensüchtig und als Einbrecher polizeibekannt. Ein kalter Entzug wird hässlich, doch Lydia und Johannes ringen ihm Beständigkeit ab, mit Gutmütigkeit, Sanftmut, christlicher Nächstenliebe, die jedoch nicht ohne verdeckten Eigennutz bleibt.
Die schwerste Prüfung steht bevor, als entdeckt wird, dass Simon eine schwule Partnerschaft zu seinem Straßenmusikerkollegen unterhalten hat. Homosexualität ist für die bibeltreuen Klares eine schwere Sünde und fürchterliche Verfehlung. Simon – kein Mann, der solch barbarische Beleidigungen auf sich sitzen ließe – ist bereit, die häusliche Gemeinschaft zu verlassen. Johannes sieht zunächst ebenfalls keine Basis für ein weiteres Zusammenleben mehr, und doch ändert er rasch seine Meinung und fleht zusammen mit Lydia Simon an, zu bleiben.
Johannes ruft daraufhin einen alten Freund auf den Plan, einen Arzt, der mit Simon über seine homosexuellen Neigungen sprechen soll: Johannes bleibt zunächst unbekannt, dass dieser Arzt an Simon einen Exorzismus vornehmen will, was auch für einen erzkonservativ-christlichen Mann wie ihn zu viel der religiösen Wahnhaftigkeit ist. Doch Simon erkennt die wirklichen Hintergründe von Johannes‘ Hadern: Der Pastor ist selbst homosexuell und hat dies sich und seiner Frau seit seiner Jugend nie eingestehen können.
«So auf Erden» begibt sich neben seinen religiös-spirituellen Sinnsuche-Themen auch in allerhand vermeintlich eher belanglos-weltliche Nebengefilde: Ein Gemeinemitglied veruntreut Spenden, ein anderes will mit einer besonderen Großzügigkeit (um nicht zu sagen: Korruption) eine Aufweichung bestimmter unliebsamer Dogmen erreichen. Narrativ macht das erst in der zweiten Hälfte so richtig Sinn: Als klar ist, welches Geheimnis Johannes Klare mit sich herumträgt – und wie gerade die besonders exponierten Mitglieder der freikirchlichen Gemeinde nicht durch ihre christliche Nächstenliebe auffallen, sondern als vollendete Pharisäer dastehen.
In seiner narrativen Struktur erinnert dieser Film an eine frühere Zusammenarbeit von Edgar Selge und Franziska Walser: das klug erzählte und einnehmend gespielte Drama «Nie mehr wie immer», dessen von Selge gespielte Hauptfigur ebenso etwas unerklärlich Mysteriöses, diffus Entrücktes an sich hatte, das erst im Kontext der Enthüllung fassbar und sinnvoll wurde.
«So auf Erden» hätte einige seiner Nebenfiguren individueller und vielschichtiger führen können – insbesondere ihre prominenteste, den musikbegabten, drogensüchtigen, aufrichtigen und homosexuellen jungen Mann Simon, der leider auf all diese Eigenschaften heruntergeschrieben wurde. Anstatt eine eigenständige, intrinsisch interessante Figur soll er vielmehr den Zweck erfüllen, als Inciting Incident Johannes‘ Hadern mit seiner Homosexualität einzuleiten. Auch Johannes‘ Ehefrau ist über zu weite Strecken Stichwortgeberin und Wendepunkteinleiterin, um die Etappen von Johannes‘ Heldenreise auf dem Weg der Auflösung seiner inneren Widersprüche zu markieren.
Diese Heldenreise ist derweil stark geschrieben und noch stärker gespielt: die Sanftmut von Johannes Klare und gleichzeitig seine Unerbittlichkeit und Kompromisslosigkeit, seine einengend-alttestamentarische Auffassung von Sünde und sein Leben als Sünder, seine große sexuelle Energie und seine selbstverleugnende Lebensführung – erstaunlich, wie fassbar, wie einnehmend, wie durchdringend Selge die innere Zerrissenheit seiner Figur darstellen kann.
Gleichzeitig bleibt die Dekonstruktion der kleinkarierten südwestdeutschen Bürgerlichkeit oberflächlicher, als es die ansonsten gelungene und bedeutsame Dramaturgie erlaubt hätte. Dabei läuft «So auf Erden» auch immer wieder Gefahr, den kühn-beobachtenden Duktus zugunsten einer unangemessen didaktischen Erzählweise zu verlassen, wobei diese Didaktik hier zumindest etwas Philosophisches hat, nämlich indem sie die Sinnfragen (auch implizit) unbeantwortet lässt und der Zuschauer wie die Figuren fundamentale Widersprüche aushalten müssen. Kein Geniestreich über Homophobie im Klerikalen oder die pharisäischen Niederungen des Kleinbürgertums – aber ein wertvoller, psychologisch einnehmender Film allemal.
Das Erste zeigt «So auf Erden» am Mittwoch, den 4. Oktober um 20.15 Uhr.
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