Die Kritiker

«Der Usedom-Krimi: Nebelwand»

von

Sass und Potthoff diesmal im Doppelpack. Die neue ARD-Strategie führt auch dazu, dass die Reihe sich wieder auf alte Stärken besinnt.

Cast & Crew

Darsteller: Katrin Sass, Lisa Maria Potthoff, Peter Schneider, Emma Bading u.a.
Regie: Andreas Herzog
Produzent: Tim Gehrke
Buch: Scarlett Kleint, Michael Vershinin und Alfred Roesler-Kleint
Kamera: Wolfgang Aichholzer
Musik: Colin Towns
Produktion: Razor Film Produktion GmbH
Um die sechs Millionen Menschen sahen bisher zu. Schon drei Mal war das Usedomer Ermittler-Team im Ersten aktiv, übrigens mit unterschiedlicher Resonanz, was die inhaltliche Bewertung anging. „Mörderhus“ und „Schandfleck“ bekamen mehrheitlich sehr positive Besprechungen, „Engelmacher“ aber, da war man sich einig, konnte dieses Niveau nicht halten. Was war passiert? Den ersten beiden Folgen war es noch gelungen, eine sich fortsetzende und doch jeweils eigenständige Geschichte zu erzählen. Verbunden mit der kühlen Atmosphäre, ganz wunderbar in Szene gesetzt von Alexander Herzog, war eine Reihe entstanden, die sich vom sonstigen Nord-Krimi-Allerlei doch abzusetzen wusste.

Folge drei aber erzählte eine vollkommen abgrenzte Geschichte, die lieblos umgesetzt war und irgendwie so gar nicht zu dem passen wollte, was man 2014 und 2015 zu sehen bekam. Die Jahreszahlen aber zeigen es. Mit nur einer Episode pro Kalenderjahr war man sich beim Ersten wohl unsicher, wie stark man auf weiterhin leicht zusammenhängende Erzählstränge setzen soll. Wohl wegen der größtenteils noch negativen Kritiken (und trotz weiter positiver Zuschauerzahlen) macht die Reihe mit ihrem nun vierten Teil eine kleine Rolle rückwärts. Andreas Herzog durfte beim vierten Teil, „Nebelwand“, wieder die Strippen ziehen und sofort ist sie wieder zurück – diese beeindruckend kühle Atmosphäre, die so prima in diese Herbsttage passt.

In einem Hafen brennt eine Segeljacht, eine Obdachlose kommt dabei beinahe ums Leben. Eigentümer der Jacht ist ein Verein, der orientierungslosen Jugendlichen maritime Grundkenntnisse verschaffen soll. Das Schiff aber hat eine unheimliche Historie: Jahre zuvor war es in einen Unfall verwickelt, bei dem ein Ehepaar ums Leben kam. Nur ein sechs Jahre altes Kind überlebte. Karin Lossow, wieder prima gespielt von Katrin Sass, erinnert sich noch ziemlich gut daran. Und sie erschrickt, als bei ihrer Enkelin plötzlich ein Teenager sitzt, der über dem rechten Auge eine auffallende Narbe hat. Genau wie der damals Sechsjährige…

Ist das wirklich Jäckie, der damals den Unfall überlebt hat und ohne Eltern nun nachweislich auf eine schiefe Bahn geraten ist? Der Krimi beginnt ziemlich langsam. Autor und Regisseur spielen minutenlang genüsslich mit der Stimmung. Geredet wird wenig. Stattdessen kühlen allein die Bilder die Temperatur des Raumes herab. Mehr und mehr Rätsel kommen auf. Welche Rolle spielt Jäckie wirklich? Und welche Rolle spielt eine Gruppe von Jugendlichen, die innerhalb des Vereins versuchen wieder den richtigen Weg zu finden? Schnell gerät eine junge und heruntergekommene Frau (Lena Urzendowsky, stark gespielt, vielleicht nicht abgehalftert genug) in den Fokus der Ermittlungen. Sie ist wütend. Immer. Doch hatte sie das Zeug dazu, den Brand zu legen?

Eingewoben werden kleine Subplots, etwa die Tatsache, dass Ermittlerin Julia Thiel (Lisa Maria Potthoff) immer wieder starke Tabletten nehmen muss oder deren Ehemann auf der Suche nach einer neuen Brille ist. Es scheint, als würden sich die Macher regelrecht einen Spaß daraus machen, mit kleinen Szenen Erwartungen über den Haufen zu werfen und Geschichten zu erzählen, die eigentlich ins Nirgends führen. Oder vielleicht auch nicht. Denn – anders als in den drei Jahren zuvor – wird Das Erste in diesem Jahr clevererweise gleich eine zweite Folge in der Woche darauf anbieten. Diese kommt wieder vom Regisseur des so stark kritisierten dritten Falls, Jochen Alexander Freydank und ist deutlich besser gelungen als damals „Engelmacher“. Zwar kann Folge fünf mit Episode vier nicht ganz mithalten, ein wirklich krasser Cliffhanger zum Ende aber entschädigt für Vieles.

Insgesamt verfestigt sich der Eindruck, dass die «Usedom-Krimis» unter allen aktuellen Nordkrimis im deutschen Fernsehen die Nase vorne haben. Keine andere Produktion kann das spezielle, raue und kühle Seeklima so gekonnt in die Wohnzimmer bringen wie diese Reihe. Gut, dass Das Erste diesmal gleich mit einer doppelten Ladung an den Start geht. Gut, dass das Miträtseln Spaß macht. Und gut, dass die Hauptdarsteller Potthoff und Sass weiterhin harmonieren. Kritikpunkte gibt es kaum: Wer ganz modernes Erzählen gewöhnt ist, der könnte das Tempo bemängeln. Wer sehr kleinkariert ist, der könnte an der letztlichen Auflösung des Falls herumkritteln. Im Großen und Ganzen aber darf hier durch die Bank gelobt werden.

Das Erste zeigt «Der Usedom Krimi: Nebelwand» am Donnerstag, 19. Oktober 2017 um 20.15 Uhr. Eine Woche später läuft ein weiterer Fall des Ermittler-Teams auf gleichem Sendeplatz.

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