Cast & Crew «Mindhunter»
- Basiert auf: Mind Hunter: Inside The FBI’s Elite Serial Crime Unit (Buch)
- Darsteller: Jonathan Groff, Holt McCallany, Anna Torv, Hannah Gross u.a.
- Drehbuch: Joe Penhall, Jennifer Haley
- Regie (E1 und 2): David Fincher
- Ausf. Produzenten: David Fincher, Charlize Theron, Josh Donen, Ceán Chaffin
- Produktion: Denver and Delilah, Jen X Productions, Panic Pictures / No. 13 für Netflix
- Folgen: 10 in S1 (S2 bereits bestellt)
Die Rede ist von David Fincher. Der Hollywood-Regisseur und -Produzent solcher Filme wie «Seven», «Fight Club», «Gone Girl» und «Zodiac» mag es blutig und tödlich. Seine Filme ergründen das Böse im Menschen, das mysteriöse Ungreifbare, das einen Mann zum Mörder macht. Es sind mitunter verstörende Charakterstudien. Sie ziehen ihre Faszination auch aus dem Paradoxon des Menschlich-Unmenschlichen: Durch die Beschäftigung mit dem Motiv von Serienkillern, mit den Gründen für ihre Handlungen, werden sie auf eine humane Ebene gehoben. Die Blaupause wird mit Inhalt gefüllt. Gleichzeitig sind die Mörder, die Fincher in seinen Filmen zeichnet, verrückte Genies mit mythischem Charakter – und damit enthumanisiert.
An dieser Stelle setzt David Fincher bei «Mindhunter» an, seinem zweiten TV-Projekt nach «House of Cards». Die Netflix-Serie basiert auf realen Ereignissen und spielt im Jahr 1979. Es ist das Jahrzehnt, in dem Charles Manson und die von ihm angeordneten Morde zum Gesprächsthema in den USA wurden. Man hat darüber diskutiert, wie mit Serienkillern umzugehen ist und ob die Ermittlungsmethoden noch zeitgemäß sind. Einmal im Gefängnis, ist der Mörder für die Polizei vergessen – er ist totes Fleisch, wie man zu sagen pflegt.
Der junge FBI-Agent Holden Ford sieht das ganz anders. Er betrachtet die Killer, die im Gefängnis sitzen, als wertvolle Informationen: Sie können Auskunft geben über ihre Motive, ihre Gedanken, ihre Psyche. Und diese Erkenntnisse wiederum können dabei helfen, zukünftige Serienkiller zu fassen. Es ist eine Zeit, in der die Kriminalpsychologie und das Profiling in den Kinderschuhen stecken. Holden Ford muss Aufklärungsarbeit leisten und wird von vielen Kollegen belächelt. Warum soll man diese Verrückten auch noch verstehen, warum sich für ihre Motivationen interessieren? Holden aber glaubt an seine Ideale und versucht seinen Boss für die neue Art der Ermittlungsarbeit zu begeistern. Er tut sich mit Bill Tench zusammen, einem älteren FBI-Kollegen, der von den Methoden ebenfalls überzeugt ist.
Die beiden landen trotzdem irgendwann im Keller des FBI, ausgegrenzt von der restlichen Mannschaft. Möglichst geheim sollen sie arbeiten, als sei ihre experimentelle Arbeit peinlich für das öffentliche Ansehen des FBI. Trotzdem lassen sie sich nicht unterkriegen. Sie interviewen Serienkiller, Woche für Woche, Extraschichten. Ihr erster Gesprächspartner ist Edmund Kemper: über 2 Meter groß, über 110 Kilogramm schwer, IQ von 145. Mörder im Alter von 15 Jahren, insgesamt 10 Opfer. Ford und Tench ertragen seine verstörend-küchenpsychologische Gedankenwelt, seine anzüglichen Kommentare, seinen Hass. Langsam dringen sie in die Psyche des Serienkillers vor. Ihre Erkenntnisse versuchen sie auf reale Fälle zu übertragen und andere Täter zu fassen. Denn Trench gesteht auch: Mindestens 35 seiner Sorte morden in den USA noch unerkannt.
«Mindhunter» bei Netflix: Der Serienkiller wird entmythisiert
Faszinierend an «Mindhunter» ist die Besessenheit, mit der der junge Agent Holden seine Arbeit angeht. Implizit glauben auch wir als Zuschauer mörderische Züge in seinem Verhalten zu erkennen, zumindest agiert er oft socially awkward. Dass seine neue Freundin Soziologie studiert, scheint sie für ihn umso interessanter zu machen: Auch die Soziologie fragt danach, wie Umwelt und Gesellschaft Menschen zu mörderischem Verhalten treiben. Als bisweilen leicht zwielichtig-undurchsichtiger Charakter angelegt, ist Holden der eigentlich interessante Charakter der Netflix-Serie. Großartig sind die Szenen, in denen er allein mit den Serienkillern ins Gespräch kommt. Es entsteht eine Spannung höchster Intensität, die bewusst ausgekostet wird – mit zehnminütigen Dialogszenen. Sein Partner Bill Tench dagegen bleibt in den beiden ersten Episoden charakterlich noch blass. Das Erzähltempo ist bewusst langsam gehalten, bleibt allerdings durch die unterschiedlichen Schauplätze und Storyfäden stets abwechslungsreich. Immer dann, wenn die Narrative in die Langeweile oder eine zu hohe Komplexität abzugleiten droht, findet sich ein Ausgleich: ein Lacher, eine Montage von Alltagsszenen, eine privat Szene mit Holden und seiner Freundin.
Inszenatorisch bewegt sich «Mindhunter» auf allerhöchstem Niveau. Die Epoche der 1970er wurde audiovisuell großartig eingefangen, auch mit einem kontemporären Nostalgie-Soundtrack. David Fincher erzeugt mit seinen typisch symmetrischen Kamerabildern eine bisweilen klaustrophobische Stimmung – und ein Kino-Feeling sowieso. Schauspielerisch ist das Format ebenfalls über alle Zweifel erhaben, bei Haupt- und Nebendarstellern.
Das eigentlich Interessante ist aber Finchers neue Herangehensweise an das Faszinosum „Serienkiller“: In «Mindhunter» sind seine Serienkiller keine undurchschaubaren Gestalten mit bisweilen übernatürlich erscheinenden Fähigkeiten. Sie werden nicht auf ein übermenschliches Podest gehoben, sondern entmythisiert. Das oben angesprochene Paradoxon des Menschlich-Unmenschlichen wird aufgelöst zugunsten der Menschlichkeit: Man versucht, die Psyche der Spezies Serienkiller ultimativ rational zu decodieren.
Damit schlägt Fincher gegenüber seinem bisherigen Werk einen neuen konzeptuellen Weg ein. Dieser Weg mag verzweigt sein und unheimlich, aber er verspricht viel Spannung und zahlreiche Wendungen. Und hinter der nächsten Ecke könnte immer schon der nächste lauern. Der nächste Serienkiller.
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