Die Kritiker

«Tatort - Der rote Schatten»

von   |  1 Kommentar

Die RAF wirft in Stuttgart ihren titelgebenden Schatten voraus und Hannes Jaenicke spielt einen Diener zweier Herren in bester Goldoni-Manier. Dieser «Tatort» will politisch und künstlerisch zugleich sein – und damit selbst zwei Herren dienen.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Richy Müller als Thorsten Lannert
Felix Klare als Sebastian Bootz
Carolina Vera als Emilia Álvarez
Mimi Fiedler als Nika Banovic
Jürgen Hartmann als Daniel Vogt
Hannes Jaenicke als Wilhelm Jordan
Oliver Reinhard als Christoph Heider

Hinter der Kamera:
Produktion: Sommerhaus Filmproduktion GmbH
Drehbuch: Raul Grothe und Dominik Graf
Regie: Dominik Graf
Kamera: Hendrik A. Kley und Jakob Beurle
Produzenten: Jochen Laube und Fabian Maubach
Christoph Heider (Oliver Reinhard) hat einen Verkehrsunfall, den er leicht verletzt übersteht. Das mag zunächst alltäglich klingen, doch spektakulär wird es, als noch am Unfallort eine Leiche in seinem Kofferraum entdeckt wird. Lannert (Ricky Müller) und Bootz (Felix Klare) brauchen nicht lange, um die Tote zu identifizieren: Sie war schon in der Gerichtsmedizin und ist dort sogar obduziert worden. Es handelt sich um die Ex-Frau des Unglücksfahrers, der ihre sterblichen Überreste nach Frankreich fahren wollte, um sie dort erneut untersuchen zu lassen. Den deutschen Behörden vertraut er nicht.

Er meint, einen guten Grund dafür zu haben. Seine Ex-Frau sei nicht aufgrund von zu viel Alkohol im Blut in der Badewanne ertrunken, wie man ihn glauben machen wolle, sondern von ihrem neuen Lebensgefährten Wilhelm Jordan (Hannes Jaenicke) ermordet worden. Denn Jordan, dieser unscheinbare, uninteressante, dreitagebärtige Mann, habe so gute Beziehungen zu allerhand Behörden, dass er die Sache mühelos unter den Teppich kehren konnte, um einfach und schnell an die vierhunderttausend Euro zu kommen, die ihm als Begünstigter der Risikolebensversicherung seiner neuen Partnerin zustanden.

Heiders Tochter bestätigen Lannert und Bootz den schrägen Eindruck von diesem Jordan. Er habe in betrunkenem Zustand mit Waffen herumgefuchtelt und von seinen Verwicklungen zum Verfassungsschutz gefaselt. Die Stuttgarter Polizisten finden derweil immer mehr Gründe, diesen wirren Behauptungen zu glauben, und entwickeln eine steile Hypothese: Jordan sei zur Hochzeit der RAF als V-Mann eingesetzt worden, habe als Kronzeuge zur politisch besonders brisanten Todesnacht von Stammheim ausgesagt, und sei anschließend im Zeugenschutzprogramm untergetaucht. Seitdem ist er immer wieder durch Kleinkriminalität aufgefallen, wobei sämtliche Verfahren gegen ihn umgehend eingestellt wurden – wohl auf Betreiben hochrangiger Beamter deutscher Sicherheitsbehörden.

Der V-Mann als „Diener zweier Herren“: Diese Verbindung zu jenem berühmten Commedia-dell’arte-Stück suchen die Autoren Dominik Graf und Paul Grothe ganz bewusst. Der Anklang ist freilich recht beiläufig, denn „Der rote Schatten“ ist kein heiteres Stück. Trotzdem mal Blättern im Goldoni: „Ich habe für beide Herren vollauf zu tun gehabt, ich bin von beiden geprügelt worden und bin bei beiden Herren so hungrig gewesen wie ein Wolf.“ Ähnliche Synthesen zieht Martin Scorsese gern am Schluss seiner Mafia-Opera.

Zurück nach Stuttgart, zum Arlecchino und Pantalone, oder wie sie hier heißen: Lannert und Bootz. Die ermitteln sich nun durch RAF-Seilschaften und neue Anschläge und Morde ihrer alten Mitglieder. Regisseur Graf bemüht sich dabei stark um eine besondere Qualität: das Atmosphärische. Archivaufnahmen und körnige Bilder, die mit Hannes Jaenickes abgehalftertem Altgaunertum vermengt werden, sollen eine gewisse Authentizität ausstrahlen, eine bestimmte Kontinuität der Ereignisse. Doch die Fälle Baader, Ensslin, Raspe – sie wirken in „Der rote Schatten“ wie das Gegenteil, wie längst vergangene Geschichte, die uralte Diskussion darüber, wie die Waffen in Stammheim eingeschmuggelt wurden und wer aus ihnen gefeuert hat, wie olle Kamellen, längst vergangene Ereignisse, die für unsere heutige Gesellschaft jeglichen Belang verloren haben.

Der Bezug zum Heutigen, den dieser Krimi herstellen will, wirkt vielmehr wie ein aufgesetzter Versuch um ein bisschen Aktualität. „Der rote Schatten“ ist kein aufwühlendes, wichtiges Terror-Traktat über eine wie auch immer geartete relevante Hinterlassenschaft der Mörderbande um Baader und Meinhof, sondern titelgetreu etwas Obskures, Finsteres, aber eben auch: etwas kaum noch Wahrnehmbares. Denn man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.

Der andere Blickwinkel, aus dem sich diese Geschichte erzählen ließe – der V-Mann als „Diener zweier Herren“ – bleibt dagegen psychologisch zu oberflächlich, die psychopathischen Züge dieses Wilhelm Jordan sind schmissige Eyecatcher und nicht Ausgangspunkt für eine eingehende, faszinierende filmische Analyse. Und so kommen am Ende, anders als in Goldonis Komödie, beide Stränge zu kurz.

Das Erste zeigt «Tatort – Der rote Schatten» am Sonntag, den 15. Oktober um 20.15 Uhr.

Kurz-URL: qmde.de/96428
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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Sentinel2003
13.10.2017 16:03 Uhr 1
Hab grad erst gestern den Fall vom September gesehehen: "Stau"!! War sehr spannend!

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