Frau Greine, das Massaker von Las Vegas hat die Diskussion über eine Verschärfung der Waffengesetze in den USA wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Sie selbst haben sich vor einigen Monaten in Amerika auf Spurensuche begeben. Mit wem haben Sie vor Ort über das "Waffenland USA" reden dürfen?
Maike Greine: Ich habe die Familie Hansen aus der Nähe von Salt Lake City begleitet und bei Ihnen im Gästezimmer gewohnt. Es war eine sehr intensive Zeit, obwohl wir uns vorher nicht kannten. Wir haben zusammen gefrühstückt, die Kinder zur Schule gebracht, wir waren spazieren und haben auch ohne Kamera viel geredet. Nach einem Nachmittag auf einer Shooting Range habe ich abends ganz selbstverständlich den Kindern vorgelesen. Trotz aller Widersprüche, die wir teilweise hatten, bin ich wie eine Freundin der Familie behandelt worden. Es war sogar für mich schnell „normal“, dass hinter jeder Tür ein Waffenarsenal lagerte. Das war eine wichtige Erfahrung für den Film und mich persönlich… das hätte ich vorher nicht geglaubt.
Gibt es eine Begegnung oder Situation, die Ihnen aus den Drehtagen in Amerika besonders stark in Erinnerung geblieben ist?
Greine: Am letzten Drehtag habe ich mit unserem Protagonisten Ben darüber gesprochen, dass auf ihn geschossen wurde. Mir wurde plötzlich klar, dass der Mensch, der vor mir steht, auch tot sein könnte. Doch statt die Angreifer zu verurteilen, habe ich gedacht: ‚Darum darf hier jeder eine Waffe haben. Um zurückzuschießen.‘ Dass es mir plötzlich so verständlich war, das hat mich total erschreckt. Diese Erkenntnis: ‚Wenn das eigene Leben oder das der Liebsten in Gefahr ist, dann würde ich möglicherweise auch abdrücken.‘ Das war hart.
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Die tausenden Toten pro Jahr durch Schusswaffen werden als notwendiges Übel für die Freiheit verstanden. Das habe ich oft als ein arrogantes Ausweichmanöver empfunden. Aber es gibt auch Gegner, und die werden seit dem Massaker von Las Vegas immer lauter.
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Maike Greine
Greine: Um das wirklich sicher zu beantworten, müsste ich jeden Bundesstaat bereisen. Aber durch die Menschen und die Orte, die wir in Utah und Las Vegas besucht haben, ist klar: Der Umgang mit Waffen ist ein Lebensgefühl. Wer sich mit einer Automatikwaffe auf ein Feld stellt und in die Luft ballert, der wird nicht von seiner Umgebung verurteilt. Das ist dann halt so. Diese Faszination, die auch durch die Verankerung in der Verfassung und als „Lebensrecht“ verstanden wird, ist überall. Die tausenden Toten pro Jahr durch Schusswaffen werden als notwendiges Übel für die Freiheit verstanden. Das habe ich oft als ein arrogantes Ausweichmanöver empfunden. Aber es gibt auch Gegner, und die werden seit dem Massaker von Las Vegas immer lauter.
Im Rahmen von "Maike Inside" sind Sie schon seit längerem für "Galileo" unterwegs, zuletzt ging es zum Beispiel um freichristliche Gemeinden. Wie wird sich die Sendung am Sonntag von Ihren bisherigen Filmen für «Galileo» unterscheiden?
Greine: Wir haben vor allem mehr Zeit für die Themen, und meine persönlichen Eindrücke und Erlebnisse bekommen viel Raum. Das war für mich der größte Unterschied zu meinen bisherigen «Galileo»-Beiträgen. Dieses Gefühl von ‚Huch! Ich habe so viel Platz für meine Fragen und Gedanken‘ – das war und ist immer noch ein tolles Gefühl und ein großer Vertrauensbeweis.
Auch Thilo Mischke hat für sein «Uncovered» die Welt bereist und ist verschiedensten Fragestellungen nachgegangen. Wo werden sich Ihre Reportagen von seinen unterscheiden?
Greine: Wir haben unterschiedliche Herangehensweisen an unsere Themen. Ich werde Teil des Lebens anderer Menschen, bin mittendrin in ihrer Wirklichkeit. Für die Geschichte zum Waffenland USA bedeutet das, dass ich mehrere Tage im Haus der Familie Hansen wohne, eines der familieninternen Überlebenstrainings mitmache, mit ihnen zum Schießstand fahre, einfach ihren gesamten Alltag miterlebe, fühlbar mache und diese Erfahrung in der Reportage mit den Zuschauern – hoffentlich – teilen kann.
- ProSieben / Kirsten Otto
"(...) Im Zentrum steht für mich immer die Frage: Wie fühlt sich das Leben einer fremden Familie, Gruppe oder auch einer Einzelperson an? Welche Weltbilder oder Überzeugungen vertreten sie? Es sind die besonderen Situation, die ich erleben möchte. Es ist mein Wunsch, dieses ,anders sein' dem Zuschauer näher zu bringen und die Möglichkeit zu geben, eine Meinung zu bilden oder auch Klischees über den Haufen zu werfen."
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Es gibt für mich die Priorität: Zusage ist Zusage. Mir ist wichtig, dass ich meine Drehs oder den Dienstplan beim Radio einhalte. Das kann dann auch mal wehtun, wenn ein tolles Thema von ProSieben angeboten wird, ich aber beim WDR eingespannt bin und auch umgekehrt.
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Maike Greine
Greine: Wir haben eine ganze Reihe an Themen in der Pipeline, die mich reizen und die ich als wichtig empfinde. Damit es spannend bleibt, will ich hier nicht zu viel verraten, aber im Zentrum steht für mich immer die Frage: Wie fühlt sich das Leben einer fremden Familie, Gruppe oder auch einer Einzelperson an? Welche Weltbilder oder Überzeugungen vertreten sie? Es sind die besonderen Situation, die ich erleben möchte. Es ist mein Wunsch, dieses „anders sein“ dem Zuschauer näher zu bringen und die Möglichkeit zu geben, eine Meinung zu bilden oder auch Klischees über den Haufen zu werfen. Das können Waffennarren in den USA sein, Religionsgemeinschaften aber auch Menschen, die durch Krankheit oder Sucht ein anderes Leben führen, als die meisten es von uns kennen.
Im Fernsehen sind Sie für ProSieben tätig, im Radio sind Sie bei 1Live zu hören. Wie schwierig ist es, Hörfunk- und TV-Job bei zwei verschiedenen Arbeitgebern unter einen Hut zu kriegen?
Greine: Mit einem ganz peinlich korrekten Kalender und offener Kommunikation, was ich gerade für wen mache. Es gibt für mich die Priorität: Zusage ist Zusage. Mir ist wichtig, dass ich meine Drehs oder den Dienstplan beim Radio einhalte. Das kann dann auch mal wehtun, wenn ein tolles Thema von ProSieben angeboten wird, ich aber beim WDR eingespannt bin und auch umgekehrt. Glücklicherweise habe ich seit dem Sommer 2017 als 1LIVE Moderatorin zwei Mal monatlich eine feste Sendestrecke von Montag bis Freitag, damit lässt sich gut planen. Die anderen Wochen kann ich dann für das Fernsehen frei halten.
Wo sehen Sie sich selbst in zehn Jahren? Mehr beim Fernsehen, eher beim Radio? Oder ist es doch die Mischung, die Sie reizt?
Greine: Zehn Jahre, das ist so weit hin. Ich würde es mir wünschen, dass es so breit gefächert bleibt! Derzeit ist es für mich die perfekte Mischung. Ich bin im Radiostudio bei 1LIVE wirklich zuhause. Live im Radio zu moderieren, Lebensgefühl aufzugreifen, tagesaktuell zu arbeiten und zu reagieren kickt mich jeden Tag neu. Das ist wie Surfen. Aber das Fernsehen gibt mir die Möglichkeit rumzukommen, Geschichten zu zeigen, und es macht mir unglaublich Spaß, vor der Kamera bei ProSieben einfach „ich“ sein zu dürfen. Ich hoffe, es wird sich weiter so entwickeln und dass ich das noch lange machen darf. Aber wer weiß, wie wir bis dahin arbeiten und wie sich besonders die lineare Mediennutzung, in der ich tätig bin, entwickelt. Wenn ich ein Teil davon bin, würde es mich sehr glücklich machen.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Greine.
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