Serientäter

So «Shameless»: Gebt dieser Familie doch endlich eine Chance!

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Mal ehrlich: Dass «Shameless» bisher hauptsächlich im Pay-TV lief, ist verwerflich. Nach 84 Folgen: Hat das Showtime-Format noch Power?

Anfang November ist es wieder soweit – die neue Staffel der Showtime-Dramedy «Shameless» wirft in Amerika ihre Schatten voraus. Der amerikanische Pay-Sender beginnt langsam, für die neuen Folgen zu trommeln. Wie üblich dreht sich dann zwölf Mal alles um die verrückte Familie Gallagher und ihr Anhängsel. In Deutschland hat die Serie nie eine Chance bekommen. Die Free-TV-Rechte liegen in Unterföhring bei der ProSiebenSat.1-Gruppe, die aber erst mit Jahren Verspätung und sehr zaghaft mal versuchte, das Format am späteren Abend bei kabel eins zu positionieren. Lange hielt man nicht durch – es schien sich das zu bestätigen, was vorsichtige TV-Planer schon wussten. Zu speziell, zu seriell – und bei der Free-TV-Premiere vielleicht auch schon zu alt.

Gut, dass es da das Pay-TV und im speziellen Fall FOX gibt, das jeweils einige Wochen nach der Weltpremiere für Nachschub sorgt. Sieben Staffeln sind von dem Format schon gelaufen, sieben Staffeln voller verrückte, teils abstruser und schamloser Storylines. Die zurückliegende Staffel sieben wurde dabei im Mutterland durchaus etwas kritisch beäugt. Wird die Serie auch nach damals mehr als 70 Folgen ihr hohes Niveau halten können? Welche Ideen kann John Wells (der 15 Jahre lang – mit Höhen und Tiefen - «Emergency Room» machte) noch einbringen? Die Ausgangslage vor Staffel sieben war schon mal speziell. Die komplette Familie Gallagher hatte endlich die Schnauze voll von ihrem betrügenden und saufenden Vater Frank, der nur um seinen eigenen Vorteil bedacht ist. Das Saufen hatte zwar abgenommen, nicht aber die linken Tricks, die quasi die Spezialität der von William H. Macy herrlich verkörperten Figur sind. Kurzerhand – und so schonungslos ist die Serie – warfen sie ihn von einer hohen Brücke in einen Fluss.

Die siebte Staffel beginnt für Frank also in einem Krankenhaus. Über Wochen lag er dort. Allein. Fast hilflos. Aber Frank wäre nicht Frank, wenn er nicht die nächste (geniale?) Idee hätte. Wütend auf seine Kinder besorgt er sich einfach eine Ersatzfamilie, gründet ein Obdachlosenheim in der Nachbarschaft und schnorrt sich so durch sein Leben. Im Verlauf der siebten Staffel aber macht die Figur die vielleicht erstaunlichste Wandlung der bisherigen Historie durch. Nachdem Frank es sich auch mit seinen Ersatz-Kindern verscherzt hat, beginnt der eigentlich kluge Kopf in der Tat nachzudenken. Zunächst besorgt er seinem kleinsten Sohn Liam einen Platz an einer Privatschule (okay, mit nicht astreinen Mitteln), später hilft er Fiona aus der Patsche und dann sieht man ihn bei der plötzlichen Rückkehr seiner Ex-Frau Monica sogar ernsthaft verzweifelt.

Dass Monica kurz vor dem Staffelfinale wieder zurückkehrt, ist typisch für «Shameless». Zahlreiche dem Serienuniversum angehörige Figuren gehen – und kommen ebenso schnell wieder. Monicas Rückkehr ist geprägt von tiefen Schuldgefühlen. Sie hat – in noch krasserem Stil als Frank – als Elternteil versagt und ist eigentlich auch nur zurück in Chicago weil sie sterbenskrank ist. Die nächste harte Probe für die Gallaghers, die auch in Staffel sieben schon wirklich genug mitmachen mussten.

Da wäre Fiona zu nennen, die älteste Tochter, die endlich ein Leben ohne Männer führen will. Sie leitet erfolgreich ein kleines Schnellrestaurant und möchte noch mehr Geld machen. Von einer alten und schwer dementen Frau kauft sie daher einen Waschsalon und bringt diesen auf Vordermann. Fiona stellt bei all dem das Familiengefüge aber auf eine harte Probe. Sie will nicht mehr der Notnagel für die Familie sein. Somit stellt sie auch das in Frage, was die Familie bis dato immer stark gemacht hat: Der absolute Zusammenhalt. Nicht ganz so auf einem Ego-Trip ist Lip, der sich nach seinem College-Rauswurf zunächst als Praktikant und Tellerwäscher über Wasser hält, schnell aber wieder dem Alkohol verfällt. Dabei ist sein letzter Entzug gar nicht so lange her. Als dann auch eine schöne, aber kurze Beziehung endgültig scheitert, scheinen Schnaps und Bier der einzige treue Gefährte für den ältesten Sohn von Frank zu sein. Ian, als Rettungssanitäter unterwegs, macht in der Staffel zwar einen schweren Fehler, hat aber zumindest privat Glück: Mit einem Trans-Mann läuft es so lange gut, bis er erfährt, dass sein Ex-Freund Mickey offenbar aus dem Knast ausgebüchst ist…

Carl hat in der Staffel erstmals Liebeskummer, lässt sich für seine Angebetete sogar beschneiden und entschließt sich letztlich etwa zur Staffelmitte zum Militär zu gehen. Ein Wiedersehen mit dem einstigen Sorgenkind der Familie dürfte sicher sein. Und Debbie? Ja, Debbie hat mit allen Problemen zu kämpfen, die eine junge Mutter nun mal hat. Kein Geld, kaum Schlaf, viel Baby. Debbie macht das auf ihre – teils dumme – Weise und sich somit keine Freude bei der Familie des Kindsvaters.

Hinzu kommen Probleme mit Fionas bester Freundin Veronica. Die ist auf Fiona nicht mehr so gut zu sprechen, hat aber selbst Stress mit ihrer Dreierbeziehung. Das alles klingt nicht nur nach brutal viel Stoff für 12 Mal 50 Minuten. Das ist es auch. «Shameless» hat seine Storys immer schon erzählt wie eine wilde Achterbahn. Die Serie lebt auch nach sieben Jahren von echten Schockmomenten, krassen Wendungen und übertrieben scharfen Abzweigungen. So gnadenlos die Autoren mit dem Schicksal der eigenen Hauptfiguren umgehen, so wunderbar lässt sich deren Entwicklung über sieben Jahre hinweg verfolgen. Lip etwa ist ein Paradebeispiel für eine durchdachte und starke Figurenentwicklung über viele Jahre hinweg. Lips erste Liebe, seine Schritte im Berufsleben, dann als zunächst erfolgreicher Student und letztlich doch wieder als gescheiterte Existenz.

All das verbunden mit der Frage, ob es je ein Gallagher schaffen wird, etwas aus seinem Leben zu machen, kann man die Serie durchaus als wunderbare Hommage an das Leben mit all seinen Facetten bezeichnen. Überspitzt. Schonungslos. Aber doch immer mit positivem Ansatz und voller Ehrlichkeit. Die Frage, ob die Serie nach sieben Jahren nicht Ecken und Kanten verloren hat und sich wiederholt, darf zu Recht gestellt werden. Das Geheimnis der Serie ist aber die absolute Unvorhersehbarkeit.

Die siebte Staffel hat dabei durchaus die Weichen für noch viele weitere Folgen gestellt. Wie wird Frank versuchen, seine Beziehung zu seinen Kindern ernsthaft zu verbessern und zu festigen? Kann und will er das überhaupt? Wird Fiona den bis dato erfolgreichen Weg weitergehen oder passiert doch wieder irgendwas, das sie vom richtigen Weg abbringt? Endet Lip als Frank 2.0? Und was hat die Militär-Schule aus Carl gemacht? Wird gerade er wirklich der Vorzeige-Gallagher? Nicht zuletzt: Was ist überhaupt mit Liam, der kleinsten (und farbigen) Gallagher? Er dürfte inzwischen zwischen zehn und zwölf sein, hatte bis dato aber nur spärlichen Wort-Anteil. Bekommt er seine erste größere «Shameless»-Geschichte? Wer noch so viele Fragen liefert, kann nicht überholt sein.

Und wer «Shameless» bisher links liegen ließ, der hat mindestens 84 gute Gründe, sieben Staffeln nachzuholen.

Die Serie ist unter anderem im Abruf-Angebot von Sky und Amazon Prime enthalten. Auf Abruf stehen derzeit aber nur die Folgen bis einschließlich der sechsten Staffel parat.

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