Cast & Crew
Vor der Kamera:Sibel Kekilli als Sibel
Yasin Boynuince als Melih Kaya
Bjarne Mädel als Kurt
Rouven Israel als Tobi
Friedrich Mücke als Andre
Tim Seyfi als Baris
Tauhida A. El-Latif als Miriam
Hinter der Kamera:
Produktion: Aspekt Medienproduktion GmbH
Drehbuch: Ipek Zübert, Andreas Dirr und Raid Sabbah
Regie: Randa Chahoud
Kamera: Florian Mag
Produzentin: Annett Neukirchen
Doch das ist gar nicht das Hauptthema von «Bruder», sondern nur ein Einstieg, um uns auf die Grundkonflikte um Identität, um Zusammenhalt versus Selbstständigkeit, um Rechtschaffenheit versus Duckmäusertum einzustimmen, die diese Mini-Serie bestimmen werden. Denn im Grunde erzählt sie uns die Geschichte zweier islamischer Radikalisierungen: der von Melih Kaya (Yasin Boynuince), Sibels Bruder, und seines gleichaltrigen deutschen Freundes Tobi (Rouven Israel).
Als die Zwei zum ersten Mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten, hat das nichts mit islamistischem Terror zu tun: Sie fälschen für einen windigen Typen Kreditkartenlesegeräte, um an die PIN-Nummern zu kommen, und anschließend die Konten leerzuräumen. Melih wird erwischt und auf der Wache vorgeführt. Sibel ist außer sich; doch Mutter Miriam (Tauhida A. El-Latif) stellt sich demonstrativ auf die Seite ihres Sohnes, und spricht abwertend davon, wie Sibel eben „eine bessere Mutter und eine bessere Deutsche“ sei.
Melihs und Tobis Radikalisierung geht schleichend vonstatten, fast unmerklich, für sie selbst wie für ihr Umfeld. Melih, als türkischstämmiger junger Mann ohnehin allerhand Diskriminierungen ausgesetzt, wird ebenso wie Tobi langsam empfänglich für radikalislamische Vorstellungen, die ihnen Kreise eintrichtern, zu denen sie sukzessive Zugriff erhalten: freundliche Männer mit Bärten, gebildete, belesene Menschen. Tobis Radikalisierung schreitet zu Beginn etwas schneller voran, er konvertiert, kleidet sich in strengreligiöser Tracht, quatscht seine vermeintlichen Glaubensbrüder an, um sie auf den rechten Weg, den des radikalen Islam, zu bekehren.
Damit eckt er natürlich an – auch bei Sibels türkischen Verwandten, viele von ihnen offensichtlich gläubige Muslime, die Tobis Erzkonservatismus ebenso wenig etwas abgewinnen können wie die Deutschen, mit denen er zu tun hat. Doch auch Melih beschäftigt sich immer intensiver mit allerhand obskuren Verschwörungstheorien über den „Westen“, die in ihm die Ideologie des reaktionär-religiösen Panarabismus festigen. Bei Miriam, Sibel, ihrem Mann Kurt (Bjarne Mädel) und dem aufgeklärten Imam ihrer Gemeinde gehen alle Alarme an. Doch nach einem Streit taucht Melih ab – und Sibel sucht ihn.
- © ZDF/Gordon Timpen
Melih (Yasin Boynuince) hängt trotz guten Abiturs lieber im dubiosen "Second Handy" ab und bringt dort seine brillanten IT-Kenntnisse ein. Der Internetladen arbeitet zum Teil illegal.
«Bruder – Schwarze Macht» ist trotz seines aktuellen, brisanten Themas kein alarmistischer Stoff. Er will sicher einen Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte leisten, aber einen klugen, einen durchdachten, einen differenzierten und austarierten, keinen lauten, verallgemeinernden, populistischen.
Das heißt nicht, dass er auch eine gewisse didaktische Haltung hat. Doch anders als bei vielen anderen deutschen Fernsehproduktionen ist das hier nicht störend, weil es um die sinnvolle und notwendige Vermittlung grundsätzlicher Konzepte und Lebensrealitäten geht, die anschaulich und lebensnah beschrieben werden, ohne sie mit suggestivem Getue zu werten: Aufgeklärte, aber nicht minder gläubige türkischstämmige Muslime treten der radikalisierten Perversion des Islam entschieden entgegen. Nicht nur Migranten, sondern auch ethnische Deutsche (wie Tobi) können unter bestimmten sozioökonomischen und psychologischen Bedingungen anfällig für radikalislamistische Positionen sein und genauso zu Mördern werden. Und neben diesem Extrem leben Sibel und Kurt (hervorragend feinfühlig und einnehmend gespielt von Kekilli und Mädel) eine völlig unaufgeregte deutsch-türkische Normalität, die natürlich auch nicht völlig frei von wechselseitigen Vorurteilen ist.
Nicht nur der differenziert und intelligent vorgetragene Dualismus aus einem mittelalterlichen, radikalen, mörderischen Islam und einem aufgeklärten, modernen, zivilisierten erlaubt zahlreiche gehaltvolle Ableitungen und liefert wichtige, interessante, bedeutsame Diskussionsanstöße. Der “Söhnchenkult“ wird zwar nicht so extrem vorgeführt, wie Zana Ramadani ihn beschreibt („Muslimische Mütter erziehen ihre Söhne zu Versagern“), aber doch wird thematisiert, wie Mutter Miriam auch vor einem identitären Hintergrund („Deine Schwester ist eine bessere Deutsche!“) lange die unbotmäßig schützende Hand über ihrem Sohn ausbreitet – zumindest, so lange seine Verbrechen nicht zu Gewalttaten ausarten.
Trotz ihres Willens, ihre Themen auch mit der notwendigen intellektuellen Schärfe darzustellen und zu diskutieren, der gelungenen, einnehmenden Figurenführung, und des sehr starken Spiels des Ensembles sind einige Randaspekte weniger geglückt: Dass im entscheidenden Moment auf schwache Slowmotions zurückgegriffen wird, ist nur ein Schönheitsfehler. Dass den verschwörungstheoretischen Behauptungen, die westliche Welt schlachte das islamische Volk ab, nicht energischer widersprochen wird, und am Ende eine Logik vorherrscht, in der doch die Amerikaner an vielem Schuld sind (die Israelis werden interessanterweise nicht thematisiert), mag aus den Haltungen von Melih und Tobi abzuleiten sein. Und doch fehlt es an einer starken Diskussionsszene, in der auch diese Haltung als der Unsinn entlarvt wird, der sie ist.
ZDFneo zeigt die vierteilige Serie «Bruder – Schwarze Macht» sonntags ab dem 29. Oktober um 21.45 Uhr.
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