Filmfacts: «Simpel»
- Kinostart: 9. November 2017
- Genre: Tragikomödie
- FSK: 6
- Laufzeit: 113 Min.
- Kamera: Ueli Steiger
- Musik: Andrej Melita
- Buch: Dirk Ahner, Markus Goller
- Regie: Markus Goller
- Darsteller: David Kross, Frederick Lau, Emilia Schüle, Axel Stein, Devid Striesow, Annette Frier
- OT: Simpel (DE 2017)
Im Falle von «Simpel» besteht die Schwierigkeit vor allem darin, dass mit dem titelgebenden Barnabas alias Simpel eine Figur im Mittelpunkt steht, die aufgrund ihrer schweren geistigen Behinderung regelrecht dazu animiert, je nach emotionaler Reife des Zuschauers entweder ausschließlich Mitleid, oder Spott hervorzurufen. Markus Goller bleibt realistisch und lässt beides im Film vorkommen, doch lässt er derartige Gefühlsregungen nie unkommentiert. Mit einem Höchstmaß an Respekt für beide Figuren und ohne falsche Rührseligkeit kreiert er mit der zwischen todtraurig und ausgelassen changierenden Tragikomödie «Simpel» einen der besten deutschen Filme des Jahres.
Ein Bund fürs Leben
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Die Prämisse von «Simpel» erinnert unweigerlich an die von Til Schweigers Kassenschlager «Honig im Kopf». Auch hier prallt die dramatische Studie einer schweren Krankheit (in seinem Fall Alzheimer) auf einen Roadtrip, de rmit diversen komischen Stationen und amüsanten Einfällen gespickt ist. Doch damit soll es mit dem Vergleichen auch schon gewesen sein, denn im Grunde möchte man Schweiger «Simpel» am liebsten zeigen und ihm zurufen: „So macht man das!“. Des gigantischen Zuschauerstroms zum Trotz («Honig im Kopf» gehört mit über sieben Millionen Zuschauern zu den zwanzig erfolgreichsten Filmen in Deutschland seit Aufzeichnung der Zuschauerzahlen), hatte die Tragikomödie mit ihrer unausgereiften Mischung aus gewollter Albernheit und halbherzigem Realismus nämlich ein großes Problem: So etwas wie Wahrhaftigkeit suchte man hier vergebens, was auch zwischen dem Regisseur und seinem Hauptdarsteller Dieter Hallervorden zu Reibereien führte, als eine dramatische Szene unliebsam mit Fürzen angereichert werden sollte – das geschah letztlich auch so.
Drehbuchautor Dirk Ahner («Die Pfefferkörner und der Fluch des schwarzen Königs») ist da weitaus subtiler und beweist zu jedem Zeitpunkt ein enormes Fingerspitzengefühl, was sich vor allem in der Betrachtung von Hauptfigur Simpel widerspiegelt. Schon in der aller ersten Szene kommt jene emotionale Ambivalenz zum Tragen, die sich in den kommenden 113 Minuten als beispielhaft für «Simpel» erweisen wird: Darin stellt Ben erschrocken fest, dass sein Bruder ohne Aufsicht das Haus verlassen hat, findet ihn schließlich ausgelassen am Strand spielend vor und lässt eine halbherzige Standpauke in die Erleichterung münden, dass es Simpel nicht bloß gut geht, sondern er trotz (oder gerade wegen!) seines geistigen Zustandes immerzu lebensfroh ist.
Das Zauberwort lautet: Fingerspitzengefühl
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Sogar die eigentlich für die Position des Antagonisten prädestinierte Rolle des überforderten Vaters erweist sich als weitaus komplexer: Der mit einem behinderten Sohn einst vollkommen vor den Kopf gestoßene David (Devid Striesow, «Ich bin dann mal weg», in einer kurzen aber einprägsamen Rolle) wird nicht bloß auf seine Ignoranz reduziert. Im Austausch mit seinem „normalen“ Sohn fällt es dem neu verheirateten Vater sogar recht leicht, über seine Schwierigkeiten mit Simpel zu sprechen, sodass man Davids Verhalten vielleicht nicht verstehen, es aber zumindest im Ansatz nachvollziehen kann.
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Vor allem Stein punktet mit einer bemerkenswerten Liebenswürdigkeit; wenn er Simpel abends zu Bett bringt, dann rührt das vor allem deshalb fast zu Tränen, weil es dem Schauspieler ganz selbstverständlich gelingt, enormes Verständnis für Bens schwierige Situation zum Ausdruck zu bringen. Sein Enzo ist es auch, der Ben erstmals mit einem schwierigen Gewissenskonflikt konfrontiert, den Frederick Lau wiederum herausragend authentisch und zu jedem Zeitpunkt nachvollziehbar auf die Leinwand bringt: Am Ende steht in «Simpel» nämlich vor allem die Frage im Mittelpunkt, wer hier wen am meisten braucht: Ben seinen Simpel oder Simpel seinen Ben? Diese Frage beantwortet Goller letztlich zaghaft – im wohl bittersüßesten Filmfinale, das man im deutschen Kino dieses Jahr zu sehen bekommt.
Fazit
«Simpel» ist das wahrhaftige Porträt einer beispielhaften Bruderliebe, das in seiner Dramatik zu Tränen rührt und trotzdem auch immer wieder zum Brüllen komisch ist. Frederick Lau und David Kross erwecken preiswürdig ihre beiden kantigen Figuren zum Leben. So wird aus «Simpel» eine Feelgood-Tragikomödie, ganz ohne die gängigen Wohlfühlmechanismen, die die Augen nicht vor der Wahrheit verschließt und dabei trotzdem immer optimistisch bleibt.
«Simpel» ist ab dem 9. November in den deutschen Kinos zu sehen.
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