Die Kino-Kritiker

«The Big Sick» oder: Ein Publikumsliebling erobert die Welt

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Die romantische Tragikomödie «The Big Sick» beruht nicht bloß auf wahren Begebenheiten, sie ist zeitgleich auch die wohl schönste Liebesgeschichte, die es dieses Jahr auf der Leinwand zu sehen gibt.

Filmfacts: «The Big Sick»

  • Genre: Tragikomödie
  • FSK: 6
  • Laufzeit: 120 Min.
  • Kamera: Brian Burgoyne
  • Musik: Michael Andrews
  • Buch: Emily V. Gordon, Kumail Nanjiani
  • Regie: Michael Showalter
  • Darsteller: Kumail Nanjiani, Zoe Kazan, Holly Hunter, Ray Romano, Anupam Kher, Zenobia Shroff, Bo Burnham, Adeel Akhtar
  • OT: The Big Sick (USA 2017)
Wie oft haben wir an dieser Stelle bereits eine Filmbesprechung mit dem Satz begonnen, dass das wahre Leben doch immer noch die besten Geschichten schreibt? Auf «The Big Sick» lässt sich diese Phrase ebenfalls anwenden, auch wenn die kurz vor dem Abspann einsetzende Erkenntnis, dass der ebenso bekannte wie beliebte Komiker Kumail Najiani all das auf der Leinwand Gezeigte so tatsächlich erlebt hat, bei der Pressevorführung in Hamburg mit zu den größten Lachern gehörte. «The Big Sick» verzichtet nämlich auf ein plakatives „basierend auf wahren Begebenheiten“; wer Kumail Nanjiani indes schon länger kennt – etwa durch seine Stand-Up-Programme oder Nebenrollen in diversen US-Komödien («Gänsehaut», «Mike and Dave Need Wedding Dates») – der ahnt, dass es kein Zufall ist, dass die Hauptfigur in «The Big Sick» nicht bloß Kumails Vornamen trägt, sondern auch direkt als „Ich erzähle Euch jetzt, wie das wirklich wahr!“-Off-Kommentator fungiert. Und weil alle guten Dinge bekanntlich drei sind, hat er gemeinsam mit Emily V. Gordon, mit der Nanjiani bereits im Rahmen seiner Comedyshow «The Meltdown with Jonah and Kumail» zusammen arbeitete, auch das Drehbuch geschrieben.

Der Kreis schließt sich, wenn man irgendwann erkennt, dass Emily niemand Geringeres ist, als Kumails Ehefrau, um deren Kennenlernen es in «The Big Sick» geht. Das Leben des gebürtigen Pakistani ist wahrlich verfilmenswert, wenn man sich die Irrungen und Wirrungen ansieht, mit denen er es innerhalb der flott erzählten zwei Stunden zu tun bekommt; doch so absurd-komisch die verschiedenen Stationen teilweise sind, so sehr hat «The Big Sick» auch das emotional-melancholische Herz am rechten Fleck – da spürt man direkt die Handschrift des hier als Produzenten fungierenden Realisten Judd Apatow («Dating Queen»).

Diese Liebe steht unter keinem guten Stern


Kumail (Kumail Nanjiani) verdient sein Geld damit, andere zum Lachen zu bringen. Und in der Tat hat er viel Stoff zum Witze reißen: Zum Beispiel über seine Familie, die in Amerika lebt, als wäre sie noch in Pakistan, oder über die vielen potenziellen Ehefrauen, die ihm seine Mutter sorgfältig ausgewählt präsentiert. Nach einem seiner Auftritte lernt er die quirlige Frohnatur Emily (Zoe Kazan) kennen, die den gleichen Humor hat wie er. Obwohl beide anfangs auf ihrem Single-Dasein beharren, verfallen sie einander schließlich hoffnungslos. Doch Emily erfüllt nicht das wichtigste Kriterium, das Kumails Familie an seine Zukünftige stellt: Sie ist keine Pakistanerin. So steht Kumail bald vor der Frage, ob er auf seine Familie oder auf sein Herz hören soll.

Es sind die ungeschriebenen Gesetze fast jeder Romantic Comedy: Mann verliebt sich in Frau (oder andersherum), aus den beiden wird ein paar, anschließend treibt ein ungeahnter Konflikt sie auseinander, nur damit es im Finale zur dramatischen Versöhnung kommen kann. Und sie lebten glücklich und zufrieden, bis dass der Tod sie schied – und dieses Konzept funktioniert bis heute. Hervortun aus diesem seichten Einheitsbrei der Zwei-Menschen-werden-eins-Geschichten können sich hingegen Filme, die dieses Schema nicht bloß ignorieren, sondern die sich darüber hinaus echt anfühlen; und «The Big Sick» schafft beides, ohne dabei den Eindruck zu erwecken, genau das zu forcieren. Zwar lässt sich der Film, der in den USA bereits grandiose Online-Bewertungen von 86 Prozent (Metascore), 98 Prozent (Rotten Tomatoes) und 7,7 (IMDb) erhielt, immer noch grob in die bewährten Kapitel einteilen, doch im Gegensatz zu den diversen sich konstruiert und oftmals auch nur wenig glaubwürdig anfühlenden Alltagsdramen aus Hollywood sind die Probleme in «The Big Sick» aus dem Leben gegriffen und stellen das junge Paar somit vor diverse Bewährungsproben, die zu jedem Zeitpunkt glaubhaft sind.

Nach einem äußerst charmanten Kennenlernen (nach einem kurzen One-Night-Stand, nach welchem die beiden schwören, kein großes Ding daraus machen zu wollen, muss Kumail Emily kurzerhand auch noch nach Hause fahren, da er ihr angefordertes UBA-Taxi ist), bringt es der junge Pakistani nicht fertig, seine streng religiös lebende Familie über seine Beziehung mit einer US-Amerikanerin in Kenntnis zu setzen. Die sich wie ein Running Gag wiederholenden Szenen, in denen Kumails Mutter Sharmeen (Zenobia Shroff) immer wieder zum gemeinsamen Abendessen potenzielle Brautanwärterinnen für ihren Sohn präsentiert, sind zwar äußerst komisch und auf den Punkt geschrieben, doch in ihnen steckt auch eine ungeheure Tragik, die immer mehr zum Vorschein kommt, je ernster die Beziehung zwischen Kumail und Emily wird.

Die perfekte Balance aus Komik und Tragik


Es ist beeindruckend, wie selbstverständlich Regisseur Michael Showalter («Hello My Name is Doris») die verschiedenen Tonfälle in «The Big Sick» unter einen Hut bringt. Die Szenen zwischen Kumail und Zoe Kazan («The F Word: Von wegen nur gute Freunde») sind von einer wahrhaftigen Leichtigkeit geprägt, stecken voller Witz und lassen auch die Herzen des Zuschauers bei jedem Blick zwischen den beiden schneller schlagen, während das Skript den Umständen entsprechend ab der zweiten Hälfte zwar deutlich ruhiger wird, bei aller Dramatik innerhalb der Situation jedoch nie den Blick für den Optimismus verliert. Ohne an dieser Stelle zu viel verraten zu wollen, ist Kumails Familie nämlich bei Weitem nicht die größte Belastungsprobe für das junge Glück. Während Emily nach rund einer Stunde in den Hintergrund rückt, konzentrieren sich die Macher schließlich auf die Beziehung zwischen Kumail und Emilys Eltern; eine Art „Antrittsbesuch bei den Schwiegereltern unter besonders dramatischen Umständen“.

Showalter nutzt den anarchischen Charme der Vorlage schon mal ganz gezielt, um seine Darsteller munter drauf los improvisieren zu lassen, was bisweilen in brüllend komische Monologe mündet (Stichwort: 11. September) – gerade für Emilys besonders skeptische Mutter Beth (Holly Hunter) finden sich so genügend Steilvorlagen, ob mithilfe von bösen Blicken oder gezielten Sticheleien gegen ihren unliebsamen Schwiegersohn zu wettern. Doch mit der Liebe zu Emily als alle drei verbindendes Moment finden ihre Familie und Kumail schließlich authentisch zusammen.

Doch «The Big Sick» ist vor allem deshalb so anders, weil die Macher immer auch mit all dem kokettieren, was man von Geschichten dieser Art erwartet. Das ist kein Wunder – schließlich hat Michael Showalter hier „nur“ wahre Ereignisse verfilmt und diese halten sich nun mal in den seltensten Fällen an eine filmtaugliche Dramaturgie. So lassen sich in «The Big Sick» durchaus Momente ausmachen, die in der Hand anderer Verantwortlicher sicher vorab glatt gebügelt worden wären, um den Erzählfluss nicht ins Stocken zu bringen. Kleinere Längen und manch holprige Entwicklung tragen hier – zusammen mit einer absolut unaufgeregten Inszenierung – allerdings vorwiegend dazu bei, das Gefühl zu bestärken, man schaue hier gerade echten Menschen dabei zu, wie sie ihr echtes Leben leben. Untermauert wird dieser Eindruck vom Ensemble: Kumail Naijiani spielt sich selbst als eine Art zurückhaltenden Draufgänger, der auf der Bühne die Sau raus lassen kann, sich hinter den Kulissen jedoch auch ganz schüchtern zeigt.

Zoe Kazan zeigt sich dagegen einmal mehr als auf die Rolle der charmant-natürlichen Frohnatur prädestiniert und fühlt sich als extrovertierte junge Frau sichtlich wohl. Holly Hunter («Batman v Superman: Dawn of Justice») geht als Emilys Mutter, die es dem Freund ihrer Tochter so richtig schwer macht, hervorragend auf und spielt ganz geschickt damit, die Grenze zum Overacting hier und da zu streifen, jedoch nie zu übertreten. Und dann ist da noch Ray Romano («Parenthood») als Emilys Vater. Dieser ist Kumail gegenüber weitaus wohler gesonnen, doch die vielen unbeholfenen Versuche, mit ihm ins Gespräch zu kommen, sind einfach pures Comedygold!

Fazit


Einen Film wie «The Big Sick» nicht zu mögen, ist schlichtweg unmöglich! Regisseur Michael Showalter macht bei dieser lebensechten Tragikomödie absolut alles richtig und lässt den Zuschauer gemeinsam mit einem hervorragend aufgelegten Cast Tränen lachen und weinen.

«The Big Sick» ist ab dem 16. November in den deutschen Kinos zu sehen.

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