Popcorn & Rollenwechsel

Boykott ist auch keine Lösung

von   |  3 Kommentare

"Mensch XY ist ein Schuft, also bestrafe ich mich, und schränke mich in meinem Filmkonsum ein." Eine Logik, die unser Kolumnist nicht begreift ...

Sie häufen sich und häufen sich: Schwer anzuzweifelnde Anschuldigungen gegen Personen aus dem Showgeschäft. Um einige der Vorwürfe zusammenzufassen: Harvey Weinstein ist ein perverses Schwein größter Güte. Louis C.K. ist widerlich. Kevin Spacey suhlt auch wahrlich nicht mehr in Sympathiepunkten. Und damit haben wir nicht einmal die Spitze des Eisberges abgedeckt. Viele Menschen sind Monster, und je mehr von ihnen als solche enttarnt werden, desto stärker pocht in unserer Gesellschaft die Frage: Wie sollen wir mit den Leistungen dieser Fieslinge umgehen?

Häufig stolpere ich in den sozialen Netzwerken über Boykottversprechen. "Jetzt, wo ich weiß, dass Louis C.K. sich vor Frauen gegen ihren Willen einen runterholt, schaue ich nie wieder einen Film mit ihm." "Harvey Weinstein hat einige meiner Lieblingsfilme produziert – aber ab sofort hasse ich seine Filme und schau sie mir nie wieder an." "Tja, werde ich mir wohl nie wieder «Die üblichen Verdächtigen» angucken können." Und so weiter.

Ich kann natürlich keinem Menschen da draußen vorschreiben, was er zu fühlen hat. Eine Person, die derart von den Anschuldigungen Harvey Weinstein angeekelt ist, dass sie schon Ausschlag bekommt, sobald sie auch nur eine «Chicago»-, «Pulp Fiction» oder «Scream»-Blu-ray anfasst, sollte nun nicht dazu gezwungen werden, sich trotzdem eine Weinstein-Produktion anzuschauen. Aber allen anderen kann ich nur sagen: Lasst euch nicht einreden, dass ihr Boykott betreiben müsst!

Denn wo kommen wir hin, wenn wir uns von der Fehlbarkeit oder Abscheulichkeit einzelner Personen in unserem Kunst- und Unterhaltungskonsum einschränken lassen? Dann gewinnen die Scheusale ja doppelt und dreifach – wollen wir das wirklich? Welchen Nutzen hätte das?

Wenn ich mir nie wieder «Gangs of New York» anschaue, kommt Harvey Weinstein auch nicht schneller in den Knast. Wenn tatsächlich Louis C.K.s bislang nur auf Festivals gezeigte Filmsatire «I Love You, Daddy» im Giftschrank verschwindet und nicht regulär veröffentlicht wird, dann gehen (den bisherigen Kritiken nach zu beurteilen) tolle Schauspielperformances von Chloë Grace Moretz und Rose Byrne verschollen. Das macht es nicht rückgängig, dass der Regisseur des Films Frauen gegen ihren Willen sein Gemächt präsentiert hat, raubt aber zwei talentierten Künstlerinnen verdiente Zeit im Rampenlicht.

Filmvernarrte, die sich sagen, sie könnten nie wieder «Baby Driver» schauen, weil da ja mit Kevin Spacey eine "problematische Persönlichkeit" Film in den Fokus gerückt wird, dann schmeißen sie ein Meisterwerk des Filmschnitts und der Actionchoreografie unter den Bus. Das wiegt Spaceys Taten nicht auf, beschränkt diese Filmliebhabenden aber in der Ausübung ihrer Passion. Kein Gewinn, nur Verlust. Und selektiv ist es auch, weil es sich auf einen medial viel diskutierten Fall beschränkt.

Konsequenterweise müsste dann beispielsweise auch «Wonder Woman» aus der Filmrotation verschwinden, profitierte an diesem Film doch Brett Ratner mit, der Gründer der Produktionsfirma RatPac-Dune Entertainment. Ratner wird Vergewaltigung vorgeworfen. Von einem selbstauferlegten Boykott gegen seine Produktionen, zu denen neben «Wonder Woman» auch «Life of Pi – Schiffbruch mit Tiger» und «Mad Max: Fury Road» gehören, prahlt im Netz aber keine Seele. Erstens, weil Ratner keine beim Gelegenheitskinogeher bekannte Persönlichkeit ist und daher viel weniger Schlagzeilen spendiert bekommt als Spacey – was wiederum den virtuellen Beifall bei einem Boykott reduziert. Zweitens, weil es doch eh Unsinn wäre.

Was brächte es, die Leistungen einer Frau wie Patty Jenkins zu bestrafen, um irgendwie Ratners Karma zu beschädigen oder sowas? «Wonder Woman» ist der bis dato größte wirtschaftliche Erfolg, der einer Regisseurin im Realfilm beschert war. Soll dieser Meilenstein in Zukunft allen Ernstes im Schatten von Ratners Glied stehen? Na, schönen Dank aber auch …

Menschen sind Müll. Das ist leider häufiger wahr, als dass es nicht wahr ist. Wenn wir uns fortan vor allem verstecken, an dem auch nur irgendein Mistmensch irgendwie mitgewirkt hat, können wir direkt zu Einsiedlerinnen und Einsiedlern werden. Das hilft im Kampf gegen die Bösen aber auch nicht. Wieso also nicht das Warten auf den Weinstein-Prozess, der dann 2029 in eine hammergeile Staffel «American Crime Story» münden wird, ganz frech mit einem Marathon an Polanski-Filmen versüßen? Das verhilft dann vielleicht sogar zu dem dicken Fell an Zynik, das es braucht, um sich durch unsere Welt voller Schuften zu manövrieren, ohne dabei voller Frust einzugehen.

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Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
Sentinel2003
21.11.2017 20:07 Uhr 1
Das ist bei Kevin Spacey aber nicht anders: es gibt unzählige Menschen, beispielweise auf facebook, die mit ihm garnichts mehr Sehen möchte....
Princeps
21.11.2017 21:22 Uhr 2
Ich finde es unmöglich, wie auch in dieser Frage komplett pauschalisiert wird. Der Autor sieht das Thema seines Artikels kritisch und hat gute Argumente, keine Widerrede von mir.



Aber wie wäre es dennoch mit dem Versuch, die andere Seite zu verstehen.



Nämlich, dass ich als schwuler Mann und nun ehemaliger großer Fan von Kevin Spacey in folgender Situation bin: möchte ich jemanden, der nicht nur seine Homosexualität als Ablenkung von seinem (subjektiv formulierten) widerlichen Fehlverhalten nutzen wollte, sondern diese Homosexualität damit auch in die leider nach wie vor oft kolportierte Nähe der Pädophilie gestellt hat, weiterhin sehen? Nein, möchte ich nicht.



Ich bin zu sehr in dieses Thema investiert, mich ärgert und beschämt das zu sehr, als dass ich diesem Menschen bei seiner Schauspielerei zusehen oder gewissermaßen durch mein Zusehen unterstützen möchte.



Und dass diese, wohl sehr nachvollziehbare Perspektive, derzeit immer wieder mit solchen Artikeln wie diesem entweder ignoriert und belächelt wird, finde ich unmöglich. Es gab noch keinen einzigen Versuch in deutschen Medien, sich dieser Frage einfach mal differenziert von allen Seiten zu nähern.
Anonymous
21.11.2017 22:46 Uhr 3


Schonmal danke, dass du trotz der noch folgenden Kritik auch Lob über hast. Freut mich. :)




Ich verstehe dein Gefühlsdilemma total - und daher ist es schade, dass mein relativierender Einwurf im Artikel wohl nicht genug betont war, um dich in dieser Situation zu bestärken. Ich schreibe in der Kolumne ja (offenbar zu beiläufig), dass ich niemandem, der nicht zwischen einem bestimmten Künstler und seiner Kunst trennen kann, zwingen will, sehr wohl zu trennen.



Ja, ich hab Weinstein als Beispiel für ein etwaiges "Ich kann nicht trennen" meiner Leserschaft genommen. Einfach nur, weil es der Ur-Fall der aktuellen Welle an Debatten zu dem Thema ist und er zudem seine Finger in mehr Filmen hatte als etwa Spacey, womit die Argumentationsfallhöhe größer ist.



Dennoch war schon beabsichtigt, dass es jeder für die Person(en) seiner Wahl einsetzen kann. Wenn du von Spaceys extrem fehlplatziertem Outing (zu Recht) so genervt bist, dass du beim Anschauen seiner Filme zwangsweise an die Decke gehst, wer wäre ich dann, dir vorzuschreiben: "Nein, du guckst nun 'American Beauty' und es hat dir zu gefallen!"?



Wenn ich den "Hey, wer nicht trennen kann, gerne, aber alle, die noch unsicher sind oder definitiv trennen wollen: Ich finde, ihr solltet euch nichts vorwerfen lassen, wenn ihr weiter guckt, was ihr gucken wollt"-Tonfall nicht so getroffen habe wie beabsichtigt, dann tut mir das Leid. Denn du hast sehr mein Verständnis.



(Was aber nicht bedeutet, dass es mich für dich und deine Freiheit in deinem Filmkonsum nicht freuen würde, wenn du ein paar früher von dir geliebte Filme irgendwann eben doch wieder gucken kannst. Aber bis dahin: Klar, wenn die Wunde noch pocht, dann muss man dir da kein Salz reinstreuen. Warum auch?)
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