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Badewannen-Fernsehen: Darum sind «This Is Us» & «The Good Doctor» so erfolgreich

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«This Is Us» avancierte im vergangenen Jahr zum Überraschungshit der TV-Saison und wurde nun von «The Good Doctor» abgelöst. Kein Wunder, beide Formate sind Begründer eines neuen TV-Trends.

So erfolgreich ist «This Is Us»

Neben allerlei Awards durfte sich «This Is Us» in seiner ersten Staffel auch über ein ungemein hohes Zuschauerinteresse freuen. Durchschnittlich 14,70 Millionen Zuschauer ab zwei Jahen verfolgten in den USA die 18 Episoden der ersten Staffel im Schnitt, womit sich die NBC-Serie zum meistgesehenen Neustart der TV-Saison 2016/2017 aufschwang. Mit durchschnittlich 16 Prozent der 18- bis 49-Jährigen zählte das Drama auch in der Zielgruppe zu den beliebtesten TV-Formaten überhaupt.
Mit den Primetime Emmy Awards oder den Golden Globes verbinden Kenner eher selten kommerzielle Network-Serien. Gerade für Liebhaber-Formate oder anspruchsvolle Serien kleiner Anbieter sollen die Preisverleihungen Ruhm und Ansehen verschaffen. Umso beachtlicher kam der Erfolg von «This Is Us» bei den Award-Shows dieses Jahres daher. Drei Golden Globe- und gleich zehn Emmy-Nominierungen heimste das neue NBC-Drama ein, zwei Emmys nahm «This Is Us» mit nach Hause. Das Format des «Galavant»-Machers Dan Fogelman dreht sich um drei Geschwister – die Zwillinge Kate und Kevin Pearson und deren Bruder Randall. Letzterer wurde noch im Krankenhaus von seiner Familie zurückgelassen und schließlich von den Pearsons adoptiert.

Im ständigen Wechsel zwischen vier Zeitsträngen, die von den Siebzigern bis zur Gegenwart angesiedelt sind, folgt die Serie Kevin, der sich vom egozentrischen Sitcom-Star zum ernsten Schauspieler wandeln will und seiner mittlerweile übergewichtigen Schwester Kate, die als Assistentin ihres Bruders unzufrieden ist und plant, ihr Leben umzukrempeln. Randalls Welt wird derweil auf den Kopf gestellt, als dieser seinen Erzeuger im Alter von 36 Jahren erstmals trifft und erfährt, dass dieser an Krebs stirbt. Intensive Streitszenen, gebrochene Herzen, Alkoholrückfälle und Geständnisse am Sterbebett folgen. Schon gehooked?

Bodenständige Nervennahrung zur richtigen Zeit


Es fällt schwer, den Erfolg von «This Is Us» in den USA losgelöst von seiner Erscheinungszeit zu betrachten. Verschiedenste Sorgen trieben die Weltbevölkerung schon im Herbst 2016 um, insbesondere die US-Amerikaner, die mit ihrem frisch gewählten Präsidenten Trump vor einer ungewissen Zukunft standen. Zwar setzt «This Is Us» mit seinen verschiedenen Timelines auf ein unkonventionelles Storytelling im Vergleich zu anderen Network-Serien, trotzdem wirkt die NBC-Serie wie klassische Nervennahrung, vertraut und herzlich. Nicht umsonst gehören Familien-Serien sowohl im Comedy- als auch im Drama-Segment zu den beliebtesten Formaten – sowohl auf Seiten der Produzenten als auch aus Sicht der Zuschauer.

Geschichten um das Thema Familie verfügen über eine weltweite Gültigkeit, da Verwandtschaft in jedem Kulturkreis über eine wichtige Stellung verfügt. Aufgrund des hohen Identifikationspotenzials muss die eigentlich erzählte Geschichte gar nicht komplex sein, um eine große emotionale Wirkung auf Seiten des Zuschauers zu entfalten. Als wendungsreiches Melodrama mit emotional überwältigenden Begegnung und herzzereißenden Momenten der Trauer macht sich «This Is Us» die Universalität seiner Themen bestens zu Nutze und wirkt dennoch sehr zeitgemäß: Die Dan Fogelman-Serie bietet die Möglichkeit des kollektiven, kathartischen Weinens, das ihr Publikum irgendwie einfach gebraucht hat.

Serienjunkies, die angesichts frei empfangbaren Fernsehens die Nase rümpfen, werden es nicht glauben: Es gibt Bedarf an einfachen Stoffen, die die Glaubwürdigkeit nicht auf die Probe stellen. Keine russischen Spione, Drogenbosse, Zombies oder Drachen. «This is Us» liefert betont normale Figuren mit normalen Problemen wie ihrem Gewicht, Stress im Job, Gefühle von Unzulänglichkeit und Überforderung oder Trauer angesichts des Todes einer nahestehenden Person. «This is Us» bildet Gefühle ab, die jeder kennt. Viele haben sie schon selbst gefühlt und können sich daher mit den Inhalten identifizieren. Träume gehen in der Serie nicht immer in Erfüllung, wie im echten Leben auch. Die Zuschauer sehen die Charaktere scheitern und fühlen mit.

Das Quäntchen Außergewöhnlichkeit


Doch «This Is Us» setzt nicht nur ganz auf Normalität, sonst wäre die Serie nicht so erfolgreich. Es ist wie in der Popmusik: Ein echter Hit darf zwar nicht ganz anders klingen als der Rest der populären Lieder in den Charts, muss aber dennoch mindestens eine Facette mitbringen, die das Produkt außergewöhnlich macht. «This Is Us» besitzt die für das Network-Fernsehen unüblichen Zeitsprünge, investiert viel in die sich langsam aufdeckenden und unerwarteten Vorgeschichten seiner Charaktere und spricht Themen an, an die sich sonst noch kaum jemand herangetraut hat.

Es wirkt unerwartet, aber in der Unterhaltungsindustrie, die selbst im Wechsel mit der Werbeindustrie wie ein Perpetuum Mobile immer wieder aufs Neue erstrebenswerte Körperbilder vermittelt, findet sich wohl kein Pendant zu Chrissy Metz‘ Figur Kate (Foto), einer dreidimensionalen Frau mit Karriereambitionen, die Gewichtsprobleme, aber dennoch sexuelle Bedürfnisse hat und - für TV-Verhältnisse noch seltener – auch sexuell begehrt wird. Fast schon absurd, dass sich Film und Fernsehen derart selten an ein derart alltägliches Thema herantrauen.

‚Warm Bath TV‘: Fernsehen, wie ein warmes Bad


Tatsächlich zeigt sich «This Is Us» also mutiger als andere Network-Serien, gleichzeitig gibt die Serie jedoch auch nie vor, etwas anderes zu sein als sie tatsächlich ist. Mit dem Fokus auf solidem Storytelling mit Herz versucht «This is Us» schlicht, dass sich seine Zuschauer gut fühlen, insbesondere in einer Welt, in der sie ständig mit besorgniserregenden Schlagzeilen bombardiert werden. Damit ist «This Is Us» Teil, vielleicht sogar Initiator eines neuen TV-Trends, den Branchenkenner als „Warm Bath TV“ bezeichnen – Fernsehen, dass sich so beruhigend und reinigend anfühlt wie ein warmes Bad.

Auch die neue TV-Sensation «The Good Doctor» ließ diesen Herbst reichlich warmes Wasser ein und schwang sich damit zum meistgesehenen Drama dieser Saison auf, dabei hat vorher kaum einer mit dem Erfolg des ABC-Formats gerechnet. Die Sony Pictures-Produktion dreht sich um Dr. Shaun Murphy, der an Autismus und dem Savant-Syndrom leidet, aber außerordentliche Fähigkeiten als Chirurg zeigt, woraufhin ihn der Krankenhausleiter entgegen der Bedenken eines anderen Chirurgen rekrutiert.

Mit Hoffnung und Optimismus als Gegenentwurf zum Kabelfernsehen


So erfolgreich ist «The Good Doctor»

Obwohl nur wenige Kritiker im Vorhinein «The Good Doctor» zu den möglichen Hits der TV-Saison 2017/2018 gezählt hatten, entwickelte sich die neue ABC-Serie in Windeseile zur Serien-Sensation in den USA. Nach gerade einmal zehn Ausgaben stellt «The Good Doctor» die meistgesehene Drama-Serie im US-Fernsehen dar und unterhält im Schnitt 18 Millionen Zuschauer pro Folge, zeitversetzte Abrufe miteingerechnet. In der Altersgruppe der 18- bis 49-Jährigen, aus der im Schnitt acht Prozent einschalten, rangiert «The Good Doctor» auf Platz eins aller neuen Drama-Serien dieser Saison.
Auch Sony Pictures-Kopräsident Jason Clodfelter sieht einen wichtigen Erfolgsfaktor in der Alltäglichkeit des Formats, das auf die Sensationalisierung des echten Lebens verzichtet. „Was «This Is Us» so wundervoll schaffte, war seine Charaktere nicht ständig in Schwierigkeiten zu bringen. Letztlich fühlte sich alles, was die Figuren durchmachten, dadurch natürlich und authentisch an“, beschrieb Clodfelter die aus seiner Sicht gelungene Abwechslung zu handelsüblichen TV-Formaten in einem Interview. „Wenn du deine Charaktere, deren Welt und den Ton, den das Format anschlägt, liebst, brauchst du keine irrsinnige Geschichte in 42 Minuten Fernsehen pressen.“

Ausgerechnet nachdem das Network-Fernsehen inhaltlich jahrelang versuchte, die düsteren, aufreibenden und horizontalen Erzählungen des Kabelfernsehens zu kopieren, verschreibt es sich nun zurückgenommeneren Geschichten, die Hoffnung, Optimismus und Positivität vermitteln. «This Is Us» traute sich etwas und rückte seinen in der Fernsehgeschichte kaum vergleichbaren Charakter Kate in den Fokus. Das Quäntchen Außergewöhnlichkeit findet sich in «The Good Doctor» im autistischen Protagonisten. An ihm lässt sich auch die Entwicklung ablesen, die das Fernsehpublikum in der Vergangenheit durchgemacht hat. Nur wenige Menschen waren bis vor wenigen Jahren mit Autismus vertraut, nun können sie sich im Fernsehen mit einer autistischen Figur identifizieren.

Will ein werbefinanzierter Sender Erfolg haben, lautet die Maßgabe schlicht: Gebt dem Publikum, was es will. Nachdem die Network-Sender jahrelang dem Qualitätsfernsehen der Kabelsender und Streaming-Dienste nacheiferten, scheinen sie nun endlich wieder eine Programmfarbe gefunden zu haben, die das Publikum wirklich anbeißen lässt. Herzerwärmendes Badewannenfernsehen, das vertraute Themen enthält und einen Rückzugsort angesichts all des Wahnsinns in der Welt bietet. Serien wie «This Is Us» und «The Good Doctor» könnten das Network-Fernsehen über die nächsten Jahre hinweg prägen, allerdings wird auch dieser Trend früher oder später vorübergehen. So lange entspannen Fans dieser Formate in ihrer televisionären Wanne und warten bis die Seifenblase platzt.

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