Die Kritiker

«Keine zweite Chance»

von   |  5 Kommentare

Ein Stoff um eine Frau, die Mann und Tochter verliert, ist an Tragik kaum zu überbieten. Doch eine ernsthafte Tragik will «Keine zweite Chance» um jeden Preis vermeiden. Ein Fall von dramaturgischer Schizophrenie:

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Petra Schmidt-Schaller als Dr. Nora Schwarz
Sebastian Bezzel als Leo Korwatsch
Inez Björg David als Sarah Bäumler
Josefine Preuß als Lydia Kern
Murathan Muslu als Robert Kleist
Pegah Ferydoni als Pia Kleinert
André Szymanski als Peter Leyen

Hinter der Kamera:
Produktion: Ariane Krampe Filmproduktion
Drehbuch: Hannah Hollinger
nach dem gleichnamigen Roman von Harlan Coben
Regie: Alexander Dierbach
Kamera: Ian Blumers
Produzentin: Ariane Krampe
Die Ärztin Nora Schwarz (Petra Schmidt-Schaller) ist glücklich verheiratet und stolze Mutter einer kleinen Tochter. Das Leben scheint perfekt. Doch plötzlich geht alles ganz schnell: Am helllichten Tag wird sie in ihrem Haus niedergeschossen. Als sie in der Klinik aus dem Koma aufwacht, erfährt sie das Unfassbare: Ihr Mann ist tot und ihre kleine Tochter verschwunden.

Für Nora beginnt eine Zeit der Trauer und der Verzweiflung. Denn die Polizei geht immer mehr von der Hypothese aus, dass Nora selbst etwas mit dem Tod ihres Mannes und dem Verschwinden ihres Kindes zu tun hat. Ihr Anwalt (und enger Freund) Leo Korwatsch (Sebastian Bezzel) hat bald alle Hände voll zu tun, ihr das grimmig dreinblickende Kommissaren-Gespann aus Sarah Bäumler (Inez Björg David) und Peter Leyen (André Szymanski) vom Leib zu halten.

Um bei der Suche ihrer Tochter vorwärtszukommen, braucht sie natürlich tatkräftige Unterstützung: Robert Klein (Murathan Muslu), eher der zupackende Typ, böte sich an. Nachdem seine Frau erschossen wurde, ist er auch nicht mehr beim BKA, wie man sich größte Mühe gibt, uns zu verstehen zu geben: Einen Anreiz, sich bis auf das Komma an die Regeln zu halten, hat er sowieso nicht, und bietet stattdessen die Gelegenheit, dass sich in ihm etwas von Noras Verlustschmerz spiegeln kann.

Drei Stunden lang mäandriert sich das Drehbuch nun von einem Winkel in den anderen: Bei Noras Schwiegervater gehen Erpresserschreiben ein, Geldübergaben gehen schief, fürchterliche Unfälle passieren. In der Provinz werden alte Bauernhöfe abgeklappert, wo das Robert-Nora-Duo mit der Schrotflinte im Genick begrüßt wird, bevor es weitergeht in schäbige Pensionen, wo arme rumänische Frauen Kinder austragen, die anschließend von kriminellen Anwälten an Eltern verscherbelt werden, die anders nicht zu Nachwuchs kommen.

Doch neben dem ganzen melodramatischen Prozedere will der Zweiteiler sich auch als Thriller profilieren. Deswegen setzt einer dieser zwielichtigen Hintermänner ein Mörderpärchen auf Nora an, dessen weiblicher Part von Josefine Preuß gespielt wird. In den Presseunterlagen gibt sich Preuß dazu ganz enthusiastisch, schließlich habe sie noch nie eine Kriminelle spielen dürfen. Wer «Keine zweite Chance» gesehen hat, ahnt, warum. Denn zumindest unter den hier gegebenen Rahmenbedingungen – seicht, psychologisch unbedingt oberflächlich, und in einer intellektuell sehr beschränkten Rolle – kann sie das beim besten Willen nicht, und jedes Mal, wenn sie versucht, grimmig und gefährlich dreinzublicken, wirkt sie wie eine Parodie.

Natürlich ist das auch der holzschnittartigen Narrative und der völlig übertriebenen Inszenierung geschuldet, die ja keine Subtilität, keine Ambivalenz, keine Zwischentöne zulassen will. Stattdessen muss jedes noch so offensichtliche erzählerische Kernelement dreimal vorgetragen werden, müssen eher unwichtige Hintergründe in Dialoge gepresst werden, die für den Zuschauer und nicht für die anderen Figuren gesprochen werden.

Auffällig viel versucht Regisseur Alexander Dierbach mit Blicken zu arbeiten. Seine Figuren müssen immer wieder penetrant die Augen verdrehen, wahlweise bedeutungsschwanger, entsetzt oder vielsagend-kommentierend durch die Gegend gucken. Doch kommentiert wird dadurch: nichts. Alles an «Keine zweite Chance» wirkt zu dick aufgetragen, alles zu überdeutlich vorgetanzt. Und anstatt eine ernsthafte Begegnung mit dem schweren Thema zu ermöglichen, muss an jeder Stelle, an der es emotional tatsächlich hart werden könnte, ein flotter Gag die Situation auflösen: „Ihr solltet mal damit aufhören. Ich hab‘ keine Lust, euch nächstes Mal in den Kühlschrank zu schieben“, mahnt Noras Klinik-Kollegin Pia Kleinert (Pegah Ferydoni), als die wieder völlig lädiert von ihren Nachforschungen bei ihr im Behandlungszimmer steht.

Mit allerhand Geschrei und Gepolter, wo leisere Töne viel intensiver, viel einnehmender gewesen wären, versucht «Keine zweite Chance» eine Emotionalität zu suggerieren, die der Film eigentlich scheut. Das fürchterliche Drama um eine Mutter, die ihren Mann und ihr Kind verliert, soll den Zuschauer gar nicht mitnehmen oder intensiv berühren.

Um die Schwere der Thematik weiter zu verwässern, wird zudem auf eine Betonung völlig irrelevanter Nebenaspekte gesetzt: Die (auch sexuell) angespannte Dynamik zwischen den beiden Cops, die sich im Fall des verschwundenen Mädchens auf Nora einschießen, ist völlig uninteressant, die ebenso anerzählte schwierige Romanze des Mörderpärchens, das Nora aus dem Weg räumen soll, so abgehalftert wie erzählerisch armselig und schauspielerisch infantil.

Josefine Preuß ist in diesem Film vielleicht das markanteste Beispiel für eine Schauspielerin, die am Unwillen dieses Drehbuchs zur charakterlichen Komplexität scheitert. Doch in «Keine zweite Chance» macht niemand eine gute Figur: Hauptdarstellerin Petra Schmidt-Schaller – das hat sie dieses Jahr wieder eindrucksvoll bewiesen – kann mehr, als mitgenommen Löcher in die Luft zu stieren, und Sebastian Bezzels schauspielerisches Talent ist trotz all seiner Jahre als Stooge in den Klara-Blum-«Tatorten» nicht damit restlos ausgeschöpft, dass er pathetisch-verzweifelt den Kopf in die Hände legt. Inez Björg David und André Szymanski darf man guten Gewissens ebenso mehr zutrauen, als einander offensichtlichen Dialoge vorzutragen, während Pegah Ferydoni mit aufgesetzten Keckheiten dramatische Szenen ruinieren muss. Nein, man will nicht so recht dran denken, was mit diesem Cast alles hätte erzählt werden können. Hoffentlich bekommen sie an anderer Stelle eine zweite Chance.

Sat.1 zeigt den ersten Teil von «Keine zweite Chance» am Dienstag, den 5. Dezember, den zweiten am Dienstag, den 12. Dezember, jeweils um 20.15 Uhr.

Mehr zum Thema... Keine zweite Chance Tatorten
Kurz-URL: qmde.de/97516
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Es gibt 5 Kommentare zum Artikel
medical_fan
04.12.2017 17:25 Uhr 1
Was man von euren "Bewertungen" halten kann ist ja bekannt.(und zwar nicht viel)
P-Joker
04.12.2017 18:26 Uhr 2


Genau das denke ich mir auch oft! Filme mit "40 %" sind am Ende oft die Besten! :)

Ich weiß nicht was manche Kritiker hier von einem Film erwarten.

Ich will durch einen Film schlicht unterhalten werde, nicht mehr, und nicht weniger.

So sind für mich Krimis nichts anderes als gefilmte Rätselspiele!

Wenn ich informiert oder gebildet werden will, schaue ich Magazine und Reportagen!
medical_fan
04.12.2017 19:21 Uhr 3
Er sollte auch logisch und spannend sein,besonders bei einem Krimi.

"Das Nebelhaus" z.B. fand ich klasse.



z.B. "Die Spezialisten" ZDF-Serie genial hat hier eine vernichtende Bewertung, oder "Unfriended" wahrlich grausamer Film(von der Qualität her) und hier hochgelobt...
Sentinel2003
04.12.2017 22:53 Uhr 4
Ich habe das ja auch schon oft gesagt hier, das ich manche negative Kritik NULL nachvollziehen kann!! Und, Petra Schmidt-Schalller macht echt gute Thrilller!
Kalinkax
05.12.2017 22:07 Uhr 5
Teil1 hat mir gefallen und da ich payTV habe, kann ich das ohne Werbung schauen

was vielen stinkt, da sat1 fast alle 10min Werbung bringt

ich nehme auf jedenfall den 2. Teil auf!



ich glaube, dass die Kritik von Herrn Miller noch nie meine Zustimmung fand, da lob ich mir den Tittelbach.de, welcher meinen Geschmack eher trifft
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