Zum Vergleich: Kritiken zu drei Netflix-Serien aus dem europäischen Ausland
Wir finden, die deutschen Serienschaffenden haben sich ein ermunterndes Tätscheln auf dem Rücken verdient. Ein anerkennendes Nicken, ein anfeuerndes Beifallklatschen. Denn in diesem Jahrzehnt sah es zwischenzeitlich düster aus für die deutsche Serie. Kaum klammerte man die Generationen vereinenden Lagerfeuer aus, zu denen einige Krimi-Reihen geworden sind, musste man wiederkehrende Figuren und horizontale Erzählstränge im deutschen TV-Programm mit der Lupe suchen. Und wenn mal etwas versucht wurde, dann verblasste es oft im Vergleich zu dem, was britisches, israelisches und US-amerikanisches Fernsehen währenddessen ablieferten.
Als im Herbst 2015 dann «Deutschland '83» im Fahrwasser überaus positiver Kritiken und euphorischer Auslandsberichterstattung bei RTL an den Start ging, wähnten nicht wenige den Wendepunkt gekommen. Den Befreiungsschlag. Es sollte aber ein entmutigender Haken in die Magengrube werden. Die Auftaktfolge wurde in sozialen Netzwerken von Haarspaltern und Erbsenzählerinnen niederanalysiert: "Oh, da ist ein 80er-Jahre-Detail bei einem Kostüm im Hintergrund nicht hundertprozentig perfekt nachgebildet worden. Und das soll eine Qualitätsserie sein! Was für'n Dreck!" Das deutsche Publikum wendete sich eingangs gegen den potentiellen qualitativen Heilsbringer, miese Quoten erstickten ab Folge drei den zuvor leise aufflammenden Funken in der deutschen Serienwelt.
Gewiss, k.o. ist die ambitionierte deutsche Serie dadurch nicht gegangen. Mit etwas Abstand zur RTL-Ausstrahlung entdeckten auch deutsche Serienfans, die sich nicht direkt Messer wetzend auf jede noch so kleine Imperfektion stürzen, «Deutschland '83» für sich. Und Amazon eilte, auch auf den Schwingen der internationalen Beliebtheit des Formats, zur Rettung. 2018 wird es eine zweite Staffel geben. Trotzdem: In der Zeit zwischen dem Quotenflop von «Deutschland '83» und der bevorstehenden Rückkehr der Serie unter dem Titel «Deutschland '86» hing die Serienwelt, um unsere Metapher ein letztes Mal zu strapazieren, vom so unerwarteten Treffer mitgenommen in den Seilen. Orientierungslos, überrumpelt, noch einmal die Kräfte sammelnd, um den Kampf gegen die Publikumsvorurteile gegen Serien aus Deutschland doch noch drehen zu können.
Und eben dies gelang, was wir an dieser Stelle feiern möchten. Seriendeutschland hat sich nicht aufgegeben und 2017 ambitionierte Qualität geliefert, Hits hervorgebracht und gelegentlich auch beides auf einmal. Darüber hinaus scheinen sich Sender und Produktionsfirmen nicht mehr so sehr von Rückschlägen aus dem Konzept bringen wie noch vor wenigen Jahren. Der Pioniergeist kehrt langsam zurück. Und auch der Mut zum Risiko.
So zieht VOX tatsächlich seinen so untypischen Entschluss durch, «Club der roten Bänder» zu beenden. Der von Kritikern gefeierte Publikumsliebling war mit seinen hohen Quoten 2015 und 2016 eine Anomalie in der deutschen Serienlandschaft – und trotzdem will VOX diesen Ausnahmeerfolg nicht überstrapazieren. Dieser Tage geht die dritte und finale Staffel zu Ende, was bereits Mut von den Verantwortlichen verlangt. Was noch mutiger ist: Mit «Milk & Honey» kündigte der Sender bereits seine nächste serielle Eigenproduktion an – und zielt damit auf eine ganz andere Programmfarbe ab. Weg mit den bittersüßen, freundlichen Krankenhausgeschichten, her mit einem Drama über Sexualität. VOX hat mit dieser Ankündigung einigen «Club der roten Bänder»-Fans vor den Kopf gestoßen – und wir können diese Entscheidungsfreudigkeit nicht stärker begrüßen.
VOX' großer Bruder RTL hat nach dem «Deutschland '83»-Schrecken zwar eine Verschnaufpause gebraucht, sich dann aber löblicherweise gesagt: Angriff ist die beste Verteidigung. Im Sommer 2017 wurde eine ganze Serienoffensive angekündigt, die im Herbst mit «Bad Cop – Kriminell gut» zwar nicht die erwünschten Quoten brachte, doch in den kommenden Monaten werden noch einige Dramen und auch zwei neue Comedys die Möglichkeit haben, den Quotenverlauf der neuen Serienattacke von RTL nach oben zu korrigieren. Das Seriendrama «Sankt Maik» kommt sogar in UHD, und es gibt nicht die leisesten Anzeichen, dass RTL durch die «Bad Cop»-Quoten in Zweifel an seiner Serientaktik geraten ist. Ganz im Gegenteil.
Last but not least: Da wären noch die vergleichsweise neuen Mitspieler im deutschen Mediengeschäft. maxdome machte Anfang 2017 den ersten Schritt und bot Serienfans mit bösem Humor seine erste Eigenproduktion an – das herrlich fiese, mit Kritikerlob überschüttete «jerks». Der fiese Serienspaß mit Christian Ulmen und Fahri Yardım gewann unter anderem den Preis der Romy-Akademie und zwei Quotenmeter.de-Kaffeetassen, kurz darauf betrat Amazon die Bühne und lieferte mit der Thrillerserie «You Are Wanted» einen seiner größten eigenproduzierten Klickhits. Wie «jerks» wurde auch das Matthias-Schweighöfer-Vehikel für eine zweite Staffel bestätigt.
In der zweiten Jahreshälfte kam es letztlich zu den Premieren der lang und heiß erwarteten deutschen Serienproduktionen von Das Erste/Sky und Netflix. Anders als «Deutschland '83» blieb die aufwändige Historienserie «Babylon Berlin» von einem "Ich habe einen Ausstattungsfehler gefunden, Skandal!"-Shitstorm verschont – stattdessen stimmte das Sky-1-Publikum weitestgehend in den euphorischen Pressechor mit ein. Drehbücher zu Staffel drei sind in Arbeit. Und Netflix' «Dark» erntet aktuell großes Lob aus dem englischsprachigen Ausland – ein Kunststück, das längst nicht allen nicht-englischsprachigen Netflix-Eigenproduktionen vergönnt war. Die deutsche Serie rafft sich auf und landet bereits einige gut sitzende Treffer. Weiter so!
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07.12.2017 19:27 Uhr 1
08.12.2017 00:45 Uhr 2