Die Kino-Kritiker

Zwei ungleiche Freunde: «Dieses bescheuerte Herz»

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Herzkranker Junge trifft auf unbedarften Draufgänger – in «Dieses bescheuerte Herz» lässt Regisseur Marc Rothemund Gegensätze aufeinanderprallen und macht daraus eine überraschend unsentimentale Tragikomödie mit Tiefgang.

«Dieses bescheuerte Herz»

  • Kinostart: 21. Dezember
  • Genre: Tragikomödie
  • FSK: o.Al.
  • Laufzeit: 106 Min.
  • Kamera: Christof Wahl
  • Musik: Johnny Klimek
  • Buch: Maggie Peren, Andi Rogenhagen
  • Regie: Marc Rothemund
  • Darsteller: Elyas M'Barek, Philip Noah Schwarz, Nadine Wrietz, Uwe Preuss, Lisa Bitter, Jo Kern
  • OT: Dieses bescheuerte Herz (DE 2017)
Schauspieler Elyas M’Barek («Fack ju Göhte» 1-3) hat ein Problem, unter dem viele deutsche Darsteller leiden, ohne überhaupt etwas dafür zu können: Genau wie Matthias Schweighöfer, Wotan Wilke Möhring oder Michael Herbig wird auch er von außen immer wieder auf einen einzigen Rollentypus festgelegt. Während Schweighöfer Schwiegermutters Liebling, Möhring den Raufbold und Herbig den Blödelbarden gibt, haftet M’Barek das Image des toughen Draufgängers an. Dabei ist das in seinem Fall (und übrigens auch bei einem Großteil der anderen) eigentlich gar nicht wahr; optisch hat sich der gebürtig aus München stammende Österreich-Tunesier in den vergangenen Jahren zwar nur gering verändert, doch seine Vita lässt definitiv eine darstellerische Bandbreite erkennen. In «Who Am I» gab er den geheimnisvollen Lebenskünstler, in «Fack ju Göhte» den asozialen Lehrer und in «Willkommen bei den Hartmanns» zuletzt den charmanten Frauenschwarm.

All das vereint er nun in seiner Rolle des Lenny in der Romanverfilmung «Dieses bescheuerte Herz», in der sich ein oberflächlicher Partylöwe notgedrungen mit einem herzkranken Jungen anfreundet. Doch wo auf den ersten Blick eine große Lücke zwischen den beiden jungen Männern klafft, offenbaren sich langsam Gemeinsamkeiten – und Marc Rothemund («Heute bin ich blond») macht aus der Grundlage wesentlich mehr als eine berechenbare Gegensätze-ziehen-sich-an-Story.

Unverhofft kommt oft


Jede Nacht feiern, einen Audi R8 aus Versehen zuhause im Pool versenken, das findet Lenny (Elyas M‘Barek) ziemlich unterhaltsam. Viel mehr interessiert ihn auch nicht. Er wohnt in der Villa seines Vaters, verschwendet dessen Geld und hält nicht viel davon, zu arbeiten. In einer tristen Hochhaussiedlung in München, liegt der 15-jährige David (Philip Noah Schwarz) im Bett und versucht zu atmen. Seine Mutter Betty (Nadine Wrietz) muss sofort mit ihm in die Klinik. David ist seit seiner Geburt herzkrank, und ob er seinen 16. Geburtstag feiern wird, kann ihm niemand sagen. Diese zwei Welten prallen aufeinander, als der Vater von Lenny (Uwe Preuss), ein Herzspezialist, seinen Sohn dazu verpflichtet, sich um seinen Patienten David zu kümmern: David kennt hauptsächlich Operationssäle, Lenny kennt jeden Club in der Stadt. Um bequem davonzukommen, hilft er David vorerst bei den simplen Dingen, die der Junge unbedingt noch erleben möchte: coole Klamotten kaufen, einen Sportwagen klauen, solche Sachen. Dabei merkt er schnell, dass Davids Leben an einem seidenen Faden hängt…

Normalerweise verläuft eine Geschichte, in der die beiden Hauptfiguren aus zwei grundverschiedenen Persönlichkeiten bestehen, in etwa so: Zunächst sind die beiden ziemlich lange voneinander genervt, bis sie in der Andersartigkeit ihres Gegenübers doch eine gewisse Faszination erkennen. Zum Schluss merkt schließlich jeder, dass man durchaus davon profitieren kann, die Welt auch mal aus der Sicht eines Anderen zu sehen; so weit, so austauschbar. Doch in «Dieses bescheuerte Herz» lassen sich die Protagonisten Lenny und David nicht bloß darauf beschränken, auf dem Papier völlig konträr zu sein – ganz im Gegenteil: Obwohl Lenny zwar zunächst eher den desinteressierten Draufgänger gibt und David den zurückhaltenden Teenager, sieht das Skript von Maggie Peren («Freche Mädchen») und Andi Rogenhagen («Ein Tick anders») die beiden von Beginn an weitaus komplexer.

Lenny lebt zwar in den Tag hinein und schert sich wenig um einen Job und Regeln, doch zum Buhmann degradiert ihn das Drehbuch nie. Genauso lässt sich David nie auf die Position des Unterwürfigen beschränken. Trotz seiner gesundheitsbedingten, körperlichen Schwäche agiert er von Anfang an mit Lenny auf Augenhöhe und stößt das Publikum mit dessen Erwartungshaltung, bei David handele es sich um den eher passiven Part in dieser Freundschaft, direkt vor den Kopf. Nur weil der Junge herzkrank ist, ist das schließlich noch lange kein Grund, ihm ein Mithalten mit dem ihm augenscheinlich überlegenen Lenny nicht zuzutrauen.

Starappeal und ein gutes Skript


Was auf das Kennenlernen folgt, ist eine ebenso charmante wie herrlich unaufgeregt erzählte Geschichte darüber, wie sich zwei junge Menschen anfreunden und einander gegenseitig die Welt zeigen. Mit Anleihen an Filme wie «Das Beste kommt zum Schluss» (auch David hat selbstverständlich eine Bucket List, die er bis zu seinem Tod noch abarbeiten will, wenngleich auf seiner so unspektakuläre Dinge stehen wie „ein Mädchen küssen“ oder „eine coole Lederjacke tragen“) oder auch «Simpel» reihen sich auch in «Dieses bescheuerte Herz» unterschiedliche Ereignisse aneinander. Das wirkt hier und da leicht holprig und könnte ein wenig mehr den Charakter einer fortschreitenden Story vertragen; stattdessen lassen sich viele Szenen klar von den darauf folgenden abgrenzen, sodass man fast schon von einzelnen Etappen sprechen kann, die Lenny und David auf ihrem Weg zum (Vielleicht-)Happy-End bestehen müssen. Doch das was die beiden erleben, ist in seiner Einfachheit dann wieder so wahrhaftig, dass man die kleinen Schwächen mühelos in Kauf nehmen kann, ohne sich lange daran aufzuhalten.

Es sind eben die kleinen Dinge im Leben, die Marc Rothemund in seinem Film vollkommen frei jedweder Effekthascherei betont und so stets etwas Magisches im Alltäglichen findet. Dazu gehört aber auch, die Augen vor der bitteren Realität ebenso wenig zu verschließen, wie vor den Bedürfnissen jener Menschen, die eben keinen Lenny an ihrer Seite haben.

Vor allem die Figur der Betty, Davids Mutter, steht symptomatisch für den ehrlichen Umgang mit dem Thema Krankheit. Das Skript zeichnet sie und ihr Verhalten nicht bloß zutiefst menschlich, sie agiert auch völlig fern von jedweder Hysterie und wandelt stattdessen auf dem schmalen Grat zwischen übertriebener (im Anbetracht der Situation aber immer nachvollziehbarer) Fürsorge und dem Wunsch, ihrem Sohn ein Leben zu ermöglichen, wie er es sich wünscht; und Schauspielerin Nadine Wrietz («Coming In») verkörpert sie mit dem notwendigen Herzblut. Die Art, wie Rothemund Betty und ihre stets zurückgestellten Bedürfnisse betrachtet, verleiht seinem Film etwas Echtes, womit auch die beiden Hauptdarsteller Elyas M’Barek und Philip Noah Schwarz mithalten können. Dass letzterer in «Dieses bescheuerte Herz» sein Leinwanddebüt gibt, ist dem 16-jährigen Schauspieler anzumerken; vor allem zu Beginn wirken seine Sätze häufig abgelesen und sein Spiel nur bedingt lebensecht.

Das ändert sich aber mit fortschreitender Spieldauer und erst recht ab dem Auftauchen von M’Barek, der seinen jungen Kollegen spürbar mitzieht. Zwischen den beiden entsteht eine herzliche Chemie, die von ihren Ecken und Kanten lebt – und eben nicht davon, dass zum Ende hin aus zwei Menschen eine freundschaftliche Einheit geworden ist. «Dieses bescheuerte Herz» ist also weitaus weniger generisch, als es die Buchvorlage in anderen Regiehänden vermutlich geworden wäre.

Fazit


Mit der Romanverfilmung «Dieses bescheuerte Herz» ist Regisseur Marc Rothemund ein wahrhaftiger Film über eine unkonventionelle Freundschaft gelungen, der so ziemlich alle Kitsch- und Klischeefallen umgeht, in die seine Kollegen sonst so gern reintreten.

«Dieses bescheuerte Herz» ist ab dem 21. Dezember bundesweit in den deutschen Kinos zu sehen.

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