«The Killing of a Sacred Deer»
- Kinostart: 28. Dezember
- Genre: Thriller/Horror/Komödie
- FSK: 16
- Laufzeit: 121 Min.
- Kamera: Thimios Bakatakis
- Buch: Yorgos Lanthimos, Efthymis Filippou
- Regie: Yorgos Lanthimos
- Schauspieler: Colin Farrell, Nicole Kidman, Alicia Silverstone, Barry Keoghan, Raffey Cassidy, Sunny Suljic, Bill Camp, Jerry Pope
- OT: The Killing of a Sacred Deer (UK/IRE/USA 2017)
Die Rache ist sein
Steven (Colin Farrell) ist ein erfolgreicher Herzchirurg und verheiratet mit der Augenärztin Anna (Nicole Kidman). Mit ihren beiden Kindern Bob (Sunny Suljic) und Kim (Raffey Cassidy) leben sie in einem schönen Haus in einem idyllischen Vorort – eine perfekte Familie. Doch unter der makellosen Oberfläche beginnt es zu brodeln, als der 16-jährige Halbwaise Martin (Barry Keoghan) auftaucht. Der Teenager aus einfachen Verhältnissen freundet sich mit Steven an und versucht ihn, mit seiner Mutter zu verkuppeln. Als sein Plan scheitert, belegt er Stevens Familie mit einem Fluch.
Wie schon in „Iphigenia“ geht es auch in «The Killing of a Sacred Deer» darum, das eine Leid gegen ein anderes abzuwägen; auf die Spitze getrieben, in einem bitteren Schlussakt, der – um eine möglichst große Wirkung aus der Ungewissheit heraus zu entfalten – an dieser Stelle natürlich nicht verraten werden soll. Dem voraus gehen rund 110 Minuten des langsamen Leidens, denn Lanthimos zelebriert es regelrecht, Figuren zu porträtieren, die um ihr unausweichliches Schicksal wissen, jedoch weder, wie, noch wann genau dieses eintritt. «The Killing of a Sacred Deer» ist von Anfang an ein zutiefst zynischer Film und holt gleichermaßen jede Menge morbiden Witz aus der Situation heraus. Der Familie rund um Protagonist Steven Murphy und dessen Ehefrau Anna scheint die Erpressung des geheimnisvollen Martin, der droht, aus einer Rachemotivation heraus ein Unglück zu provozieren, nämlich durchaus ganz recht zu kommen, um dem Kreislauf aus langweiligen Abendveranstaltungen und skurrilen Sexspielchen zu entkommen.
Immer wieder mogeln sich in «The Killing of a Sacred Deer» Szenen und Dialoge an die Oberfläche, die nicht bloß offenlegen, wie abgefuckt es hinter den verschlossenen Türen der Murphys zugeht (und zwar schon lange vor der Erpressung!), sondern auch, wie eingefahren diese in ihrem Trott sind. So steht das Leben der beiden jüngsten Sprosse zwar jederzeit auf der Kippe, trotzdem geben sich Steven und Anna Diskussionen über Hauptspeisen hin, oder versuchen sich trocken, aus der Situation heraus zu diskutieren.
Das Böse in Gestalt eines einsamen Jungen
Entsprechend distanziert wirken die Figuren auf den Zuschauer, was Yorgos Lanthimos mithilfe der Kameraarbeit seines Landsmannes Thimios Bakatakis («Una und Ray») zusätzlich unterstreicht. Seine Aufnahmen sind weitläufig, fangen die Figuren teilweise nur als winzige Punkte inmitten eines großen Setpieces ein (Stichwort: Mall) und lassen das Geschehen in «The Killing of a Sacred Deer» wie eine Zufallsbeobachtung erscheinen. Gehen die Macher später doch mal an die Szenerie heran – etwa im Krankenhaus, oder bei den Murphys zuhause – wird man sofort wieder von allerlei absonderlichem Verhalten erschlagen. Da sind plötzliche, ungefragte Gesangseinlagen von der gar nicht so untalentierten Kim noch das Gewöhnlichste am Alltag der Murphys. Doch nicht bloß die Protagonistenfamilie scheint in diesem obskuren Kosmos aus menschlichem Misstrauen und geheuchelter Zuneigung ihr Gespür dafür verloren zu haben, wie man mit einem anderen Menschen umgeht.
So richtig spektakulär wird es bei der Betrachtung des unkonventionellen Schurken Martin, für den man – trotz seiner zweifelsfrei kranken Idee – zeitweise mehr Sympathien aufbringt, als für Steve und seine leidende Familie, der sich durch Aktionen wie den unbeholfenen Versuch, seine eigene Mutter (Alicia Silverstone in einer kleinen Rolle) mit Martin zu verkuppeln, jedoch schnell wieder ins „Hier ist etwas faul“-Abseits schießt. Doch nicht nur bei ihm ist zu Beginn von «The Killing of a Sacred Deer» oft nur schwer zu benennen, was diesen Eindruck überhaupt erweckt. Manchmal sind es nur kurze Nebensätze, die erahnen lassen, dass sich hinter der vordergründig netten Facette Abgründe auftun.
Damit ein solch subtiler Tanz auf der Rasierklinge menschlicher Empathie funktioniert, benötigt es starke Darsteller; und mit Colin Farell (es ist die zweite Mitarbeit mit Lanthimos nach «The Lobster»), Nicole Kidman («Die Verführten») und – vor allem – Barry Keoghan («Das Gesetz der Familie») als eine Art „große Unbekannte“, greift der Regisseur auf einen absolut hochwertigen Cast zurück, der die Tragweite der Geschichte begreift und hervorragend mit den verschiedenen Genretonfällen zu jonglieren weiß. Denn so tragisch und beklemmend das Szenario auch ist – erst recht im Anbetracht dessen, worauf «The Killing of a Sacred Deer» letztlich hinausläuft –, so detailliert kümmern sich die Schauspieler um die verqueren Charaktermerkmale ihrer Figuren; und selbst wenn diese noch so konträr zum weiteren Verlauf der Handlung stehen.
Auch blutig lässt es Yorgos Lanthimos im letzten Drittel noch mal zu gehen; ganz so, als würde er sich mithilfe eines feinen Nadelstiches nochmal vergewissern wollen, dass die darauf folgende Eskalation auch wirklich alle mitbekommen. Nötig wäre das gar nicht unbedingt gewesen, dann sein Film steckt so voller abgehobener Momente, dass man sich dem Rhythmus aus ungläubigem Lachen und schockiertem Schweigen gar nicht erst entziehen kann. Am Ende liegt es wohl im Auge des Betrachters, ob er hier einer Tragödie, oder eher einer Komödie beiwohnt.
Fazit
«The Killing of a Sacred Deer» ist ein faszinierend-amüsanter Trip in die Hölle menschlicher Abgründe und provoziert dabei nicht bloß mit seinen humoristischen Spitzen, sondern auch mit rabiater Konsequenz.
«The Killing of a Sacred Deer» ist ab dem 28. Dezember in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
27.12.2017 00:14 Uhr 1