Die glorreichen 6

Die glorreichen 6 – Feine Fernsehfilme (Teil I)

von

Für die heimische Mattscheibe produziert, und dennoch ganz großes Kino: Quotenmeter.de stellt sechs herausragende Fernsehfilme vor. Zum Auftakt: Das wunderschöne Liebesdrama «Grenzgang».

Die Handlung


Hinter den Kulissen

  • Regie: Brigitte Bertele
  • Drehbuch: Hannah Hollinger, basierend auf dem Roman von Stephan Thome
  • Musik: Christian Biegai
  • Kamera: Hans Fromm
  • Schnitt: David J. Rauschning
Basierend auf dem gleichnamigen Stephan-Thome-Roman erzählt das Romantikdrama «Grenzgang» von einer uralten Tradition im oberhessischen Bergenstadt: Alle sieben Jahre feiern die Einwohner den Grenzgang, ein Fest mit tiefgreifenden Wurzeln, das sich aber letztlich zu einer Ausrede für Unmengen an Alkohol und unverbindliche Flirts verwandelte. Die ungezügelte Natur des Grenzgangs ist längst so berühmt und für den Genuss dieses Fests dermaßen entscheidend, dass einige Kerle, darunter Thomas Weidmann, zu diesem Anlass ihre Freundinnen verlassen.

Thomas verbockte kürzlich in Berlin sein Studium und hofft nun, in seiner alten Heimatstadt ein sorgloses neues Leben aufbauen zu können. Auf dem großen Fest begegnet er der frisch getrennten Kerstin Werner, deren Mann Jürgen sie mit einer jüngeren Frau betrügt. Ein lieblicher Kuss zwischen Kerstin und Thomas verspricht den beiden geschundenen Seelen eine schöne Zukunft. Sieben Jahre später sehen wir als Publikum die Beiden wieder. Was hat sich in der Zwischenzeit getan?

Erfolg oder Misserfolg?


«Grenzgang» wurde am 27. November 2013 zum ersten Mal gezeigt – und lief aufgrund eines Brennpunkts über den Koalitionsvertrag zwischen der SPD und der CDU erst ab 20.55 Uhr. Mit 3,72 Millionen Fernsehenden standen nur gute 12,3 Prozent Marktanteil auf dem Zettel. Die zehn Minuten früher gestartete Champions-League-Übertragung im ZDF holte indes 5,59 Millionen und 18,7 Prozent. Bei den Jüngeren erreichte «Grenzgang» nur mäßige 0,63 Millionen 14- bis 49-Jährige respektive 5,3 Prozent Marktanteil ein. Eine Wiederholung am 19. April 2016 kam auf maue 9,2 Prozent bei allen, dafür bei den Jüngeren auf gute 6,9 Prozent.

Die 6 glorreichen Momente von «Grenzgang»


Es ist ein so simpler, aber so wirkungsvoller dramaturgischer Griff: Drehbuchautorin Hannah Hollinger und Regisseurin Brigitte Maria Bertele setzen in «Grenzgang» auf eine fragmentarische Erzählweise. Nicht nur, weil sich die drei Akte des Fernsehfilms im Abstand von jeweils sieben Jahren abspielen und das Leben der Hauptfiguren Thomas und Kerstin allein anhand der Grenzgang-Feste erzählt wird. Auch die Akte selbst sind fragmentarisch angelegt, mit authentisch-unvollständigen Gesprächen und einem eklatanten Mangel an Kontextsetzung. So imitiert der Film das Gefühl, das man bei sporadischen Wiedersehen vor alkoholisiertem Hintergrund verspürt – und stärkt durch diese Lückenhaftigkeit wiederum die Wirkung der Hauptfiguren. Bertele schafft es, nachfühlbar zu machen, wie zwei allmählich alternde Erwachsene von einer steigenden Angst vor dem Alleinsein aufgefressen werden, und wie daher Phlegmatismus in ihnen aufkeimen kann und wie dies dazu führt, dass die Grenze zwischen wahrer Liebe, unverbindlich-hemmungslosem Sex und Verlegenheitsromantik verschwimmt.

«Grenzgang» brilliert vor allem aufgrund der immens starken, doch unaufdringlichen Performances von Claudia Michelsen und Lars Eidinger. Sie schaffen es, ihren verzweifelten Rollen Nuancen zu verleihen, die klar machen, dass in ihnen eher Resignation als Schwermut pocht – ein feiner, doch wichtiger und in Film und Fernsehen oftmals übersehener Unterschied. Michelsen und Eidinger schaffen es zudem, in ihren Rollen das jeweilige Gegenüber zum Symbol der Hoffnung auf ein lohnenderes Leben hochzustilisieren, ohne je obsessiv zu wirken. Es ist eine nahbare, verständliche Verklärung, die sie vermitteln, wodurch «Grenzgang» eine bittersüße Perspektive aufs Verliebtsein einnimmt.

Unterstrichen wird der lüstern-melancholische Ansatz Berteles und Hollingers durch die sich subtil dem Grundgefühl der gerade gezeigten Situation anpassende Kameraarbeit. Hans Fromms Kamera nimmt bei all zu leidvollen Passagen Distanz ein und lässt die Zuschauenden somit mit ihren Erinnerungen an ähnliche Momente allein, während die Kamera in frohen Passagen zurückhaltend-dokumentarisch näher an das Ereignis rückt. Fehlt den Figuren der Mut, sich weiter anzunähern, hält sich die Kamera zurück, zeigt das Geschehen in der Totalen, der Zuschauer wird in die Perspektive eines Passanten beim Grenzgang-Fest versetzt. Sexuelle Eroberungen dagegen werden rau und mit ungeschliffener Kameraführung eingefangen – so fehlt ihnen der filmische Kitsch, der viele andere Filme in solchen Passagen befällt. Auch die Tonabmischung ist pointiert, lässt das Festgeschehen zu einem verwirrenden Klangmatsch verkommen, wenn sich nichts tut, das die Figuren in ihrer Lebenssituation vorantreibt; während in Glücksmomenten Jauchzer und bei Rückschlägen die Schluchzer besonders hervorstechen, womit Bertele dem gemeinhin besonnenen Film wichtige vitale Elemente einverleibt.

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