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Wohin mit diesen ganzen Superlativen? Am besten in die Vergangenheit. Frühere Erfolge sind im Entertainment-Geschäft schnell vergessen. Letterman machte sich rar, gab nur ein paar Interviews. In einem dieser Interviews verriet er – fast schon still und heimlich – eine zukünftige Kooperation mit Netflix: Es geht zurück auf die Bühne, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Seine neue Talkshow «My Next Guest Needs No Introduction» wird auf Theaterbühnen aufgezeichnet, vor Publikum. 60 Minuten One-on-One-Talk mit nur einem Gesprächspartner. Zur Premiere gibt sich ein ganz besonderer Gast die Ehre: Barack Obama.
Lettermans neue Produktion ist das Gegenteil dessen, was er 33 Jahre lang verkörperte. Ruhig statt schnell. Ausufernd statt segmentiert. Tiefgründig statt oberflächlich. Reduziert statt glamourös. Letterman und Obama sitzen in zwei Sesseln auf der großen, sonst leeren Bühne. Fahles Licht fällt auf die Gesichter, nur schemenhaft ist im Hintergrund das Theaterpublikum zu erkennen. Es gibt keine Showeinlagen, keine Bands, keine Studiospiele, keine Bühnendeko. Nur die beiden Protagonisten und das gesprochene Wort. Hin und wieder zeigt Letterman Einspielfilme, die mit seinem Gast zu tun haben. 60 Minuten lang spielen sich Obama und Letterman verbal die Bälle zu, die beiden sind freundschaftlich verbunden und kennen sich aus früheren Late-Night-Zeiten. Es sind 60 sehr unterhaltsame Minuten.
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David Letterman bei Netflix: Der Schmidt’sche Vollbart
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Wir lernen David Letterman hier von einer neuen Seite kennen – auch optisch: Mit seinem Vollbart erinnert er an Harald Schmidt, der nach seiner einjährigen Kreativpause ähnlich rustikal auf die Bühne zurückkehrte. Das war 2004 im Ersten, zuvor hatte Schmidt eine Weltreise veranstaltet – wie nun auch Letterman. Hat der große US-Entertainer etwa beim deutschen Pendant gelernt?
Zumindest dauerte Lettermans Kreativpause nun etwas länger. Umgekehrt aber könnte man folgerichtig fragen: Wann taucht Schmidt wieder auf? Eine reine Talkshow mit nur einem Gast könnte auch er tragen, solange er sich den Gast selbst aussuchen darf. Massenkompatible Unterhaltung würde dabei aber vermutlich kaum entstehen – eher ein intellektuelles Kulturgespräch unter Eliten. Es wäre eine andere Ebene als bei Letterman, der sich weiterhin als Entertainer aller Zuschauer versteht. In seiner zweiten Folge wird zu Gast sein: George Clooney.
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