'Langweilig, es wird doch eh einer von denen, die nominiert sind!'
Die beliebtesten 'Bester Film'-Nominierten auf den deutschen Social-Media-Plattformen
- «Three Billboards» (87% aller Meinungsbeiträge sind positiv)
- «Call Me By Your Name» (86%)
- «Die dunkelste Stunde» (80%)
- «Lady Bird» (78%)
- «Der seidene Faden» (78%)
- «Shape of Water» (75%)
- «Die Verlegerin» (61%)
- «Dunkirk» (56%)
- «Get Out» (40%)
Quelle: VICO Research & Consulting; basierend auf einer zwischen dem 23.1. und 1.3.2018 abgehaltenen Analyse rund 15.000 öffentlicher Beiträge aus Twitter, Facebook, weiteren sozialen Netzen, Blogs, Foren, sowie News-, QA-, Video- und Bild-Portalen
Vielleicht ist "langweilig" auch einfach nur ein sehr dehnbarer Begriff. Denn, gewiss: Ein völlig unklares Rennen um die Kategorie "Bester Film" gibt es auch beim 90. Oscar nicht. Sollte «Dunkirk», «Der seidene Faden», «Die Verlegerin», «Call Me By Your Name» oder «Die dunkelste Stunde» mit der Trophäe nach Hause gehen, käme es einer Sensation gleich – diese Produktionen haben schlicht zu wenige Indikatorpreise abräumen können, um einen Sieg erwartbar zu machen. Auch die Coming-of-Age-Dramödie «Lady Bird» ist ein unwahrscheinlicher Gewinner – selbst wenn Oscar-Experten wie Sasha Stone von 'Awards Daily' die plausible Theorie aufstellen, dass Greta Gerwigs Solo-Regiedebüt von zwei Faktoren profitieren könnte.
Zunächst: Der #TimesUp-Bewegung Hollywoods, die Gerechtigkeit für Frauen fordert – und in den 89 zurückliegenden Oscar-Jahren gewann nur ein von einer Frau inszenierter Film den Goldjungen in der Hauptsparte , nämlich Kathryn Bigelows «Tödliches Kommando – The Hurt Locker». Es wäre also wieder an der Zeit für eine Gewinnerin. Zweitens: «Lady Bird» ist zwar kein Film, den viele als ihren Topfavoriten des zurückliegenden Jahres sehen (und gewann bislang entsprechend wenige Auszeichnungen als bester Film). Doch es ist ein Film, der sehr leicht zu mögen ist.
Und das ist beim "Bester Film"-Oscar sehr entscheidend – denn hier wird nicht einfach der Film gekürt, den die meisten Stimmberechtigten gewählt haben. Seit einigen Jahren gibt es ein Präferenzsystem, und alle, die für den Oscar abstimmen, erstellen ein Ranking der nominierten Filme. Sofern sich kein Film als absoluter Überflieger auf Rang eins herausstellt, ist es daher wichtig, auch sehr häufig auf Rang zwei oder drei zu landen. Und da könnte «Lady Bird», als von 99 Prozent der bei Rottentomatotes beachteten Kritikern gemochte Coming-of-Age-Dramödie glänzen. «Get Out»-Fans werden in eher wenigen Fällen «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri» auf Platz zwei setzen – aber Anhänger beider Filme könnten dem Charme von «Lady Bird» erliegen.
Die drei Spitzenanwärter: Schauspiel, Handwerk oder Zeitgeist?
Die «Lady Bird-»Theorie bei Seite gestellt, wird sich das Oscar-Rennen wohl zwischen der wütenden Tragikomödie «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri», dem gesellschaftskritischen Horrorfilm «Get Out» und dem Fantasymärchen «Shape of Water – Das Flüstern des Wassers» entscheiden. Alle drei Filme haben starke Argumente, die sie als nahezu sicheren Gewinner positionieren – und ebenso starke Gegenargumente. So spricht für «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri», dass er ein waschechter Schauspielfilm voller packender Dialoge und Monologe ist. Die Schauspielbranche macht den größten Teil der Academy aus, was das Zünglein an der Waage sein könnte. Beim Preis der Schauspielgewerkschaft räumte der neue Film des «Brügge sehen und sterben»-Regisseurs Martin McDonagh den Hauptpreis (Bestes Ensemble) sowie Auszeichnungen für Frances McDormand (Beste Hauptdarstellerin) und Sam Rockwell (Bester Nebendarsteller) ab.
Zudem gewann «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri» den BAFTA für den besten Film – eine Auszeichnung, die als wichtiger Oscar-Indikator gilt. Jedoch mangelt es McDonaghs Arbeit offenbar an Rückhalt bei den Regisseuren – in der Kategorie "Beste Regie" blieb die Oscar-Nominierung aus, und in 89 Jahren gewannen nur vier Filme ohne Regie-Oscar-Nominierung den Hauptpreis. Zuletzt gelang dies «Argo» – und damals gab es nach Bekanntgabe der Nominierungen einen Aufschrei in Hollywood, dass Affleck übergangen wurde. McDonaghs Ausbleiben wurde dagegen mit einem genügsamen Schulterzucken begrüßt.
Darüber hinaus repräsentiert «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri» den Blick eines Nicht-Amerikaners auf die heutigen USA. Dass McDonagh den Nerv Außenstehender traf, beweisen sein BAFTA-Gewinn und das Abschneiden seines Films bei den Golden Globes. Bei den Oscars werden US-Zeitgeist-Themen allerdings tendenziell bevorzugt, wenn sie introspektiv sind – und dann wäre da noch der Online-Backlash gegen «Three Billboards», dem unterstellt wird, mit seinen rassistischen Figuren zu pfleglich umzugehen. McDonagh selber antwortete auf die Kontroverse, dass ein Spiegelbild unserer Zeit auch Rassisten umfassen müsste, die ab und zu mal anderen Weißen helfen, und dass dies keinesfalls als Wiedergutmachung zu verstehen sei. Dennoch ließen sich die Negativstimmen nicht beschwichtigen.
«Shape of Water» dagegen steht als 13-fach nominierter Film als Oscar-Anwärter da, der breit gefächerten Respekt in der Branche genießt. Zuvor wurden nur neun Filme so häufig nominiert – und davon gewannen fünf den Preis in der Hauptsparte. Darüber hinaus hat «Shape of Water» ein Old-School-Hollywood-Feeling und verneigt sich vor der Macht des Kinos – ein bewährtes Rezept, um sich die Gunst der älteren Oscar-Stimmberechtigten zu sichern. Mit Auszeichnungen bei der Produzenten- und Regie-Gilde sieht auch die Indikator-Statistik von Guillermo del Toros Mär sehr gut aus. Jedenfalls, bis man seinen Blick auf die Schauspielgewerkschaft richtet, die keine Ensemble-Nominierung für «Shape of Water» aussprach. In den 24 Jahren, in denen dieser Award existiert, holte sich allein das Schlachtengemälde «Braveheart» den "Bester Film"-Oscar, ohne zuvor wenigstens für das Ensemble eine SAG-Nominierung zu ergattern.
Und dann wäre da «Get Out»: Von vielen US-Kritikern und auch einigen Branchenmitgliedern als potentiell einflussreichster Film des Kinojahres 2017 bezeichnet, ist es das wohl größte (US-)popkulturelle Phänomen unter den Nominierten. Szenen und Begriffe aus «Get Out», wie The Sunken Place gingen in den amerikanischen Zeitgeist ein und Universal Pictures klemmte sich mit der elegantesten und prägnantesten Awards-Kampagne hinter seinen Film. Als Horrorfilm, der den Finger in aktuelle Wunden Amerikas legt und offensiven wie subtilen Rassismus ebenso analysiert, wie es doppelmoralische Liberale demaskiert, wäre «Get Out» der am stärksten den Zeitgeist kommentierende "Bester Film“-Gewinner seit langer Zeit.
Doch einige neue Academy-Mitglieder berichten, ältere Mitglieder würden «Get Out» ungesehen als zu kommerziell oder nicht ernst genug abtun. Und: «Get Out» wurde zwar als bester Film nominiert sowie für seine Regie, sein Drehbuch und seinen Hauptdarsteller – jedoch mangelt es ihm an einer Nominierung in der statistisch wichtigen Sparte "Bester Schnitt". In 89 Jahren Oscar-Geschichte wurden nur zehn Produktionen zum besten Film gewählt, ohne in dieser Sparte nominiert zu werden.
Die Zahlen sprechen also gleichermaßen intensiv für als auch gegen «Get Out», «Shape of Water» und «Three Billboards». Na dann: Viel Erfolg beim privaten Oscar-Tippspiel – und viel Spaß bei der Oscar-Nacht. ProSieben berichtet am 4. März ab 23.25 Uhr von der Hollywood-Nacht der Nächte. Und wehe, danach klagt wieder wer, das sei ja alles langweilig gewesen!
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