Zur Person: Robert Schwentke
- 1968 in Stuttgart geboren
- Studierte zunächst Philosophie und Literaturwissenschaft, später Film
- Verfasste in den 90ern und frühen 2000ern «Tatort»-Drehbücher
- Feierte mit dem Thriller «Tattoo» sein Langfilmdebüt als Regisseur
- Inszenierte unter anderem «Flightplan» mit Jodie Foster, «Die Frau des Zeitreisenden» mit Rachel McAdams und den ersten «R.E.D.»-Film mit Bruce Willis
Das war die Absicht mit diesem Film.
Um mit einer Anekdote einzusteigen: Üblicherweise besteht nach Pressevorführungen ein reger Austausch. Nach «Der Hauptmann» dagegen schauten sich alle betreten an und murmelten den klaren Konsens: "Das war unangenehm."
Einen Film über den Faschismus zu machen, der nicht unangenehm ist, wäre doch ein klarer Fall von "Thema verfehlt"!
Da stimme ich Ihnen zu. In meinen Augen sind nicht wenige Filme, die sich der Zeit des Dritten Reichs annehmen, zu angenehm zu gucken. Aufwändig ausstaffiert, mit klaren Identifikationsfiguren inmitten des Schreckens – und dass parallel dazu eine Tötungsmaschine läuft, geschieht meist im Off und wird eher nebenbei erwähnt …
Das liegt daran, dass diese Filme oftmals gar nicht von Faschismus handeln, selbst wenn so getan wird. «Die 120 Tage von Sodom» ist für mich immer noch der beste Beitrag zum Thema Faschismus, den das Kino je geleistet hat. Das ist kein Film, den ich mir oft anschaue, aber es ist sehr wohl einer, den ich enorm schätze. Er hat mir Aspekte und Handlungsweisen des Faschismus sehr eindringlich klar gemacht, die mir vorher nicht bewusst waren.
«Die 120 Tage von Sodom» ist unter Filmen, die Faschismus thematisieren, nun aber auch eine sehr auffällige Ausnahme. Er wird ja nicht umsonst meist als Kunst-Horrorfilm eingeordnet, statt als Historienfilm. Gibt es denn auch im Bereich des "klassischen" NS-Dramas Genrevertreter, die Ihnen zusagen?
Ich finde «Aus einem deutschen Leben» sehr gelungen, außerdem «Die Passagierin» von Andrzej Munk. Und dann gibt es noch einen DEFA-Film, «Betrogen bis zum jüngsten Tag», der als Bestandsaufnahme der Zersetzung der menschlichen Seele durch den Nationalsozialmus sehr eindringlich ist.
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Geschichtsschreibung geschieht immer rückwärts schauend, aus der Gegenwart heraus – genauso werden Geschichtsfilme aus der Perspektive der Gegenwart heraus geschrieben und gefilmt. Sich das einzugestehen und entsprechend mit der Geschichte umzugehen, wäre schon ein Gewinn.
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Robert Schwentke
Geschichtsschreibung geschieht immer rückwärts schauend, aus der Gegenwart heraus – genauso werden Geschichtsfilme aus der Perspektive der Gegenwart heraus geschrieben und gefilmt. Sich das einzugestehen und entsprechend mit der Geschichte umzugehen, wäre schon ein Gewinn. Um was es hier auch geht, ist dass oft eine Distanz zu "damals" aufgebaut wird, als hätte das Eine mit dem Anderen nichts zu tun – als wäre die Vergangenheit luftdicht verpackt, zu Ende, abgehakt. Diese Haltung im Historienfilm muss sich ändern. Wir müssen Verbindungen herstellen und zeigen aus welchem Antrieb wir ein vergangenes Ereignis auf die Leinwand holen und was es mit unserer Gegenwart zu tun hat.
Um kurz zu verallgemeinern … Ich habe Historiker als eine der schwierigsten Publikumsgruppen kennengelernt: Da kann ein Film komplex geschrieben und aufwändig ausgestattet sein – wenn dann in einer Szene ein Panzer als Tiger bezeichnet wird, obwohl es ein anderes Modell ist, ist das prompt ein "mies recherchierter Scheißfilm". Ist vielleicht die Fetischisierung der Authentizität sehr wohl notwendig, um nicht aufgrund von Detailfragen solche Zuschauer zu verjagen?
Es ist naiv, zu sagen: Hat man die Äußerlichkeiten des dargestellten Zeitabschnitts richtig hingekriegt, hat man auch den Zeitgeist korrekt eingefangen. Es kann nicht angehen, dass nur die reine Oberfläche beim deutschen Historienkino zum Thema NS-Zeit entscheidend ist und sich daran die Qualität des Films ermessen lässt. Nun bin ich natürlich auch kein Historiker ...
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Authentizität nicht zu fetischisieren bedeutet nicht, sie aufzugeben oder zu ignorieren. Entscheidend ist es, die Details, die für das Thema und die Geschichte des Films eine tragende Rolle spielen, richtig hinzukriegen. In unserem Film geht es zum Beispiel dezidiert um Uniformen – und da darf man nicht schlampig arbeiten, die müssen dann auch historisch korrekt sein.
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Robert Schwentke
Allerdings muss man diese Diskussion differenziert führen. Authentizität nicht zu fetischisieren bedeutet nicht, sie aufzugeben oder zu ignorieren. Entscheidend ist es, die Details, die für das Thema und die Geschichte des Films eine tragende Rolle spielen, richtig hinzukriegen. In unserem Film geht es zum Beispiel dezidiert um Uniformen – und da darf man nicht schlampig arbeiten, die müssen dann auch historisch korrekt sein. Ebenso wie die logistische Sonderrolle des Emslands – denn nur dort hatten in Arbeitslagern neben der Justiz auch – und das war einzigartig – die SA die Verantwortung, das Lager zu bewachen.
Dies sind die spezifischen, historischen Fakten, die dazu führten, dass der sehr spezielle Vorfall, dem wir uns annehmen, überhaupt so eintreten konnte. Das muss alles korrekt sein, und deswegen haben wir das genau recherchiert. Im Staatsarchiv liegen die Gerichtsakten der Verhandlung gegen Willi Herold vor, sowie Tagebücher einiger überlebender Gefangener, die im Lager zwei einsaßen, als er dort wütete.
Ich rufe nicht zur historischen Ungenauigkeit auf, sondern zu einem kritischeren Umgang mit der Darstellung des Vergangenen. Allein dadurch, die Ergebnisse seiner Recherche in detailliert ausstaffierten Bildern darzustellen, ist noch nicht viel erreicht – außer, dass man einen Ausstattungsfilm im Sinne des britischen Heritage Cinema hingekriegt hat. Dieser Gedanke, dass das genügen würde, hat sich aber zu einer Wahrheit verhärtet und definiert seit langer Zeit den deutschen NS-Film. Wir müssen aus diesen Konventionen herausbrechen und Neues wagen, etwas gehaltvolleres als das Vorführen seines Könnens, vergangenes nachzustellen.
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Ich finde, dass Filmtitel nicht ausreichend als inszenatorisches Mittel benutzt werden. Im Normalfall weiß doch jeder, wie der Film heißt, den er sich anschaut. Also muss der Titel doch gar nicht zu Beginn eingeblendet werden – stattdessen kann er als Stilmittel Akzente setzen und ein Statement machen.
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Robert Schwentke
Ich finde, dass Filmtitel nicht ausreichend als inszenatorisches Mittel benutzt werden. Im Normalfall weiß doch jeder, wie der Film heißt, den er sich anschaut. Also muss der Titel doch gar nicht zu Beginn eingeblendet werden – stattdessen kann er als Stilmittel Akzente setzen und ein Statement machen. Bei «Der Hauptmann» wussten wir stets, dass wir den Titel relativ spät einblenden werden, jedoch hatten wir noch keinen klaren Punkt dafür rausgesucht. Im Schnitt haben wir dann mehrere Augenblicke für die Titeleinblendung ausprobiert und sie dann immer weiter nach hinten geschoben, bis wir an der Stelle angelangt sind, wo sie nun letztlich auch im fertigen Film zu sehen ist. Das war der erste Punkt, wo wir das Gefühl hatten, dass die Einblendung des Titels nun eine intensivere Bedeutung annimmt.
Und Sie markieren ja nicht nur einen Prolog, indem Sie den Filmtitel sehr spät einblenden. Es entsteht ja auch eine Art eines sehr langen Epilogs, indem Sie die übliche Texttafel über die wahren Schauplätze nicht vor den Abspann stellen, sondern vor einem inhaltlichen Wendepunkt ...
Anders als beim Filmtitel war dies keine Entscheidung, die im Schnitt gefallen ist, sondern so bereits im Drehbuch angelegt war. Es gibt ja verschiedene Möglichkeiten, dem Publikum vor Augen zu führen, dass es einen Film über wahre Begebenheiten sieht. Ganz klassisch wäre eine entsprechende Texttafel am Anfang, doch das wollte ich hier nicht. Ich habe diese Information bewusst an diese späte Stelle gesetzt, weil das unweigerlich dazu führt, dass man als Zuschauer das zuvor Gesehene resümiert.
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Brecht hat in Hollywood leider nie wirklich Fuß gefasst.
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Robert Schwentke
Vielen Dank für das Gespräch.
«Der Hauptmann» ist ab dem 15. März 2018 in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
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