Die Kritiker

«Die Freibadclique»

von

Der Film über fünf junge Männer im letzten Jahr des Nationalsozialismus und der frühen Nachkriegszeit ist filigran erzählt – aber perfiderweise auf dem rechten Auge blind.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Jonathan Berlin als Onkel
Andreas Warmbrunn als Bubu
Theo Trebs als Knuffke
Laurenz Lerch als Hosenmacher
Joscha Eißen als Zungenkuss
Vica Kerekes als Gunda
Lili Epply als Lore

Hinter der Kamera:
Produktion: Zieglerfilm Baden-Baden, Zieglerfilm München GmbH und Mia Film
Drehbuch und Regie: Friedemann Fromm
nach dem gleichnamigen Roman von Oliver Storz
Kamera: Anton Klima
Produzenten: Marc Müller-Kaldenberg und Regina Ziegler
Im letzten Sommer des Krieges werden fünf junge Männer, allesamt noch Gymnasiasten, von den örtlichen Nazi-Schergen buchstäblich in die Waffen-SS geprügelt. Der Führer braucht Kanonenfutter und die 1929 geborene Generation hat das historische Pech, gerade schon alt genug zum Dienst an der Waffe zu sein. Nach dem gewaltsamen und entwürdigen Prozedere wird glücklicherweise das örtliche SS-Hauptquartier von alliierten Fliegern in Schutt und Asche gebombt, sodass die Musterungsunterlagen fürs Erste verschütt gehen. Doch die Erleichterung darüber, von den Schrecken der Front (vorerst) verschont zu werden und den Sommer weiterhin gemeinsam im geliebten Freibad zu verbringen, wo sich alle Blicke auf die schöne Lore (Lili Epply) richten, ist nur von kurzer Dauer: Die Hitlerjugend geht im Volkssturm auf – und die Fünfzehnjährigen werden an die Westfront verlegt, wo sie militärisch unnütze Schützengräben ausheben müssen, wenn sie nicht doch noch zum Dienst in der Waffen-SS herangezogen werden und in den Vogesen aussichtlose Gefechte kämpfen müssen.

Den Krieg haben nicht alle Mitglieder der Freibadclique überlebt. Auch Lore, die ihnen vor ihrem Aufbruch an die Front noch wehmütig mitgegeben hatte, doch bitte „übrig“ zu bleiben, ist im Krieg umgekommen. Zwischen Onkel (Jonathan Berlin) und Knuffke (Theo Trebs) herrscht auch nach den Monaten der Trennung, in der jeder seine eigenen Kriegserfahrungen machen musste, eine enge Verbundenheit, die aber nicht über den auch von ihnen selbst erkannten Dualismus hinwegtäuschen kann, der nun zwischen ihnen herrscht: Onkel sei ihm Krieg trotz allem heile im Herzen geblieben, meint Knuffke, er selbst nicht.

Deshalb hält er Onkel auch aus den Geschäften raus, die er mit den Amerikanern am Laufen hat: Zusammen mit den Besatzern veruntreut er Hilfslieferungen an ehemalige KZ-Insassen, die auf ihre Ausreise warten, und vertickt sie stattdessen zu einem Heidenprofit auf dem Schwarzmarkt. Zur Hand gehen ihm dabei der Kommandant und dessen Geliebte Gunda (Vica Kerekes), eine deutsche Polin oder polnische Deutsche – die Wirren der letzten Jahre haben jedwede nationale Identität in ihr völlig durcheinander gebracht – die gleichzeitig eine Liebesbeziehung mit Knuffke aufrechterhält.

Es ist durchaus beeindruckend, wie fragil und filigran Regisseur und Drehbuchautor Friedemann Fromm viele dieser Untersuchungsfelder zu inszenieren weiß: Gerade die sehr feinfühlig erzählte Liebesgeschichte zwischen Knuffke und Gunda und die subtile, intelligente Gegenüberstellung zwischen dem fatalistisch-nihilistischen Knuffke und seinem besten (einzigen) Freund Onkel, der trotz allem eine gewisse Hoffnung in sich aufrechterhalten kann, sind sehr gelungen, nicht zuletzt auch wegen des einnehmenden, zartfühlenden Spiels von Theo Trebs, vielleicht dem talentiertesten Schauspieler des Ensembles.

Gleichzeitig krankt «Die Freibadclique» jedoch am selben Problem, das viele deutsche Fernsehfilme über den Zweiten Weltkrieg schwer erträglich macht: Nazis sind immer die anderen.

Von den fünf positiv besetzten Hauptfiguren steht jede einzelne mindestens knietief in der inneren Emigration und hat für das wahnwitzige Gefasel vom Endsieg nichts als sarkastische Verachtung über. Die Shoah wird in diesem Film dagegen mit keinem Wort erwähnt. Mancher mag dies mit dem Einwand entschuldigen wollen, hier solle es ja um das Schicksal junger deutscher Männer gehen, deren Leben (und Seelenheil) als Kanonenfutter herhalten muss. Doch angesichts der immensen Bestialität ist die nahezu vollständige Ausklammerung der Deportationen und Ermordungen von Juden und anderen Minderheiten geradezu perfide.

Die auftretenden Nazi-Figuren, die glühenden Verehrer von Führer und Reich, Blut und Boden, Endsieg und SS, sind derweil geschichtsklitternde Karikaturen. Sie werden ausschließlich als exzessiv gewalttätige Psychopathen und unmenschliche Schinder vorgeführt – doch dieses Bild greift freilich zu kurz: Die Unterstützer der nationalsozialistischen Ideologie kamen genauso aus der Mitte der Gesellschaft, aus jeder Schicht, jedem Milieu, jedem sozialen Hintergrund, sie waren von jedwedem Temperament, jedwedem Geistes- und Gemütszustand. Anders als es dieser Film weißmachen will, steckte das Böse nicht nur gröhlend und prügelnd in SS-Uniformen. Das erweckt ein falsches Bild vom Deutschland zur Kriegszeit – als sei es, mit Ausnahme der gewaltsamen Wahnsinnigen, einig Widerstandsland gewesen – und bewegt sich unangenehm in Richtung einer Apologe der deutschen Mehrheitsgesellschaft, die historisch so keinen Bestand haben kann.

Diese Wirkung ist umso unangenehmer, wenn man bedenkt, dass keine zentrale nichtdeutsche Figur in der «Freibadclique» positiv besetzt ist: Die amerikanischen Kommandanten machen Geschäfte auf dem Rücken geschundener KZ-Häftlinge, die Polin ist eine Hure, die mit zwei Männern etwas am Laufen hat und zu feige ist, den Einen vor dem Anderen zu retten, und die einfachen GIs werden als grobschlächtige, aber martialische Dumpfbacken vorgestellt, ganz besonders die Juden unter ihnen, die Knuffke bei seiner Verhaftung in blinder Rachsucht ein Auge austreten. Was zwei Juden angerichtet haben, wird uns explizit geschildert; die immensen Verbrechen der Deutschen bleiben ein vager, diffuser Hintergrund. Differenziertheit erlaubt sich dieser Stoff unangenehmerweise nur bei den deutschen Figuren.

Ebenso missfällt, dass nahezu alle weiblichen Charaktere unangenehm zum dramaturgischen Objekt degradiert werden. Dass sich die fünf (post-)pubertären Hauptfiguren und ihre Kameraden gerne im obszönen Duktus über Sex und Frauen auslassen, mag man authentisch nennen. Doch es fehlt nicht nur an einem angemessenen Kontrapunkt, sondern generell an einer weiblichen Perspektive. Die Lore der ersten Hälfte ist nichts weiter als ein attraktiver Fixpunkt, ein unerreichbares Objekt (!) der Begierde, deren einziger Sprechpart darin besteht, ihre Hoffnung auszudrücken, dass die Jungs den Krieg überleben werden. Die Polin Gunda, die in der zweiten Hälfte des Films zwischen Knuffke und dem amerikanischen Kommandanten steht, wird derweil zur erotischen Femme Fatale degradiert, an der der Held schließlich zugrunde gehen wird. Die einzige andere nennenswerte Frauenrolle – eine junge Witwe – schläft derweil mit dem anderen zentralen Helden des Films, Onkel, und sieht sich dabei das Bild ihres verstorbenen Mannes an. Das Drehbuch erlaubt ihr nichts weiter zu sagen, als sich ihrerseits bei Onkel für die geteilte Einsamkeit zu bedanken.

Man merkt dem auf einem autobiographischen Roman basierenden Stoff an, dass er eher ein literarischer denn ein filmischer ist: Denn nicht alle Leitmotive, die so in einer belletristischen Vorlage sinnig skizziert werden können, lassen sich in diesem Film effektvoll szenisch darstellen: Dass der SS-Kommandant bei der gewaltsamen Musterung auf eine Taube schießt, die sich in die Halle verirrt hatte, ist eine zu plumpe Chiffre für die Verachtung von Friedfertigkeit und Menschlichkeit, während die Aneinanderreihung von Nazi-Kriegsfilm-Ikonographie und Film-Noir-Ästhetik in den beiden Hälften des Films, der über die Kriegszeit und der über die Nachkriegszeit, weniger symbiotisch als widersinnig wirkt.

Das Erste zeigt «Die Freibadclique» am Mittwoch, den 28. März um 20.15 Uhr.

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