360 Grad

Operation Eurotechnopanic

von   |  3 Kommentare

Das ZDF inszenierte in seinem Satire-Film «Operation Naked» den Untergang der Privatheit, eingeleitet durch eine neue Technologie. Eurotechnopanic, unser Kolumnist hört dein Trappsen.

Michelle Spark hat ein Unternehmen gegründet. Sie stellt Brillen her, die automatisch per Gesichtserkennung allerhand im Internet verfügbare Daten über eine Person aufrufen, wenn sie sie gerade ins Visier nehmen. Gewissermaßen Google Glass eine Ecke weitergedacht.

Die Deutschen drehen natürlich durch. Und als Dunya Hayali das Produkt in einer ihrer Sendungen vorstellt und live auf der Straße testen lässt, outet sie damit unabsichtlich einen homosexuellen Gymnasiallehrer an einer elitären christlichen Privatschule, der daraufhin seinen Job verliert.

Michelle Spark stellt daraufhin eine aktivistisch-ideologische Unterfütterung ihrer allesvernetzenden Technologie vor: die „Operation Naked“. Kurz gefasst: Wir sollen all unsere peinlichen Verfehlungen öffentlich machen, damit man sie uns nicht mehr vorhalten kann, und dadurch eine vorurteilslose Gesellschaft schaffen, indem wir die intimsten Dinge von allen anderen kennen, die wiederum alles über unsere geheimsten Geheimnisse wissen.

Sie werden erkannt haben: So geht es nur in deutschen Problemfilmen zu. Und Sie haben recht: Diesen Stoff zeigte das ZDF im Rahmen seines „Kleinen Fernsehspiels“ am vergangenen Sonntagabend unter dem Titel «Operation Naked».

Dieser Film, natürlich eine Satire, will freilich Teil eines gesellschaftlichen Diskurses sein, ein dramaturgisch eingängiges Argument, das eine zunehmende Vernetzung und Technologien wie „Google Glass“ nur im Konflikt mit einem Verlust an Privatheit sehen kann. In Deutschland ist diese Sichtweise mehr oder weniger Konsens. Ein Konsens, der viele ausländische (vor allem angelsächsische) Publizisten und Experten entweder ungläubig lächeln, oder ängstlich zusammenfahren lässt.

Nicht immer ist die Skepsis vor neuen, „allesvernetzenden“ Technologien vollkommen frei von guten Argumenten. Doch was «Operation Naked» vorführt, ist leider kein gutes Argument, sondern ein Ausfluss von dem, was Jeff Jarvis die Eurotechnopanic nennt.

Denn dieser Film will schließlich – das darf man ihm zumindest unterstellen – große Internetkonzerne wie Facebook und Google sowie ihre Betreiber kritisieren und einen satirischen Blick auf die (möglichen) Konsequenzen ihrer Ideologie der Allesvernetzung werfen. Das kann aber nicht funktionieren, wenn man eine Figur wie Michelle Spark, die diese Ideologie verkörpern soll, allerhand Dinge sagen lässt, die Sergey Brin oder Mark Zuckerberg im Leben nicht denken oder sagen würden. Kein einziger der bekannten Player fordert auch nur im Ansatz so etwas wie eine vollständige Auflösung von Privatheit oder wird so etwas je fordern oder vorschlagen. Und sie oder etwaige ambitionierte Startups, wenn auch nur allegorisch, in diese Ecke zu stellen, ist nicht nur disqualifizierend plakativ, sondern grenzt an Unredlichkeit.

Kurz-URL: qmde.de/84017
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Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
mario.sixtus
26.02.2016 19:59 Uhr 1
Das ist ganz lustig: Würden Sie sich selber zuhören, so würden Sie wahrscheinlich recht schnell darauf kommen, dass Sie sich mit obiger Kritik ziemlich verfahren haben. Ich vermute sogar: gegen die Wand. Sie schreiben:



"Denn dieser Film will schließlich – das darf man ihm zumindest unterstellen – große Internetkonzerne wie Facebook und Google sowie ihre Betreiber kritisieren."



Etwas weiter sagen Sie dann:



"Das kann aber nicht funktionieren, wenn man eine Figur wie Michelle Spark, die diese Ideologie verkörpern soll, allerhand Dinge sagen lässt, die Sergey Brin oder Mark Zuckerberg im Leben nicht denken oder sagen würden."



Und jetzt überlegen Sie mal, warum das wohl nicht zusammen gehen könnte: Richtig, weil Ihre erste Unterstellung, ich wollte mit meinem Film - wie auch immer - amerikanische Internet-Konzerne kritisieren, vollkommen aus irgend einer, mir nicht zugänglichen Luft gegriffen ist. Sie fragen sich zwar, ob man diese Unterstellung machen “darf”, offenbar aber nicht, ob man sie machen sollte, oder ob der Film auch nur ein einziges Indiz für diese, Ihre Interpretation enthält.



Was Ihnen zu denken hätte geben können: Warum sollte ich große Internet-Konzerne, wenn ich diese denn kritisieren wollte, ausgerechnet von einer Startup-Gründerin und von einem Netzkünstler verkörpern lassen? Noch weiter weg wären wohl nur noch ein Straßenmusiker und eine Synchronschwimmerin gewesen.



Und natürlich reden die beiden nicht wie Page, Brin oder Zuckerberg. Sie reden auch nicht wie Lothar Matthäus, Willy Brand oder Madonna. Was will uns das wohl sagen? Vielleicht, dass der Autor mit diesen Figuren nicht Madonna, nicht Willy Brand, nicht Lothar Matthäus und eben auch nicht Larry Page Sergey Brin oder Mark Zuckerberg darstellen will? Hm?



Ich weiß, das wirft jetzt Ihr ganzes, mühsam zusammengeklebtes Konstrukt namens “Typischer Film für die deutsche Technologieskepsis” über den Haufen, aber nun, Ihre These war eben scheiße, wie wir Filmemacher sagen.



Hätten Sie hingegen im Netz die Post-Privacy-Debatte der letzten Jahre verfolgt, dann hätten Ihnen die einen oder die anderen Argumente der Figuren bekannt vorkommen können.



Ganz offensichtlich haben Sie Ihr Urteil allerdings gefällt, ohne sich etwas genauer mit dem Film und seiner Thematik zu beschäftigen. Und das - um Ihr Vokabular zu bemühen - nenne ich unredlich.



Mario Sixtus

Regisseur, Autor und Produzent von Operation Naked
jm_quotenmeter
26.02.2016 21:04 Uhr 2
Hallo Herr Sixuts,

vielen Dank für Ihren Kommentar, auf den ich gerne eingehen will.

Sie stellten in Ihrem Film eine – ich nehme an, zumindest hier werden Sie mir zustimmen – unverkennbar dem Google Glass nachempfundene neue Technologie vor und ließen deren Einführung zu massiven Verwerfungen in der (fiktiven) deutschen Gesellschaft führen. Ich sehe darin, auch wenn Sie sich als Hauptfigur eine Start-up-Gründerin genommen haben, unverkennbar eine Kritik an Google und damit an einem großen Internetkonzern. Insbesondere, da Google ein großer Verfechter dessen ist, was in Deutschland gerne die Ideologie der „Allesvernetzung“ genannt wird, die Sie in Ihrem Film vornehmlich kritisieren. Etwas einfacher formuliert, damit auch noch die hyperventilierende Fraktion der Eurotechnopaniker aus der Post-Privacy-Debatte mitkommt: Sie kritisieren ein zentrales Element des Unternehmensbilds von Google, ergo kritisieren Sie Google. Noch dazu da sich dieses Unternehmen trotz seiner immensen Größe (so gut das eben geht) bemüht, eine Start-up-Kultur beizubehalten, was die (unternehmenskulturellen und gesellschaftsideologischen) Grenzen zwischen den großen Playern und den Emporkömmlingen zusätzlich verwischen lässt. Da ist Michelle Spark wohl doch eher eine Sergey Brin in spe gewesen als eine Straßenmusikerin oder Synchronschwimmerin.

Aber gut. Selbst wenn ich Ihren Einwand gegen meine Unterstellung durchgehen lassen will, ändert sich nichts Fundamentales an meiner Kritik an Ihrem Film. Nämlich dass er ein „typischer Film für die deutsche Technologieskepsis“ (your words) ist, der in einer um die Ecke gedachten (und eher weltfremden als realistischen) Google-Glass-Nachbildung den Gott-sei-bei-uns sieht. Die in Ihrem Film vorgetragenen Argumente von Michelle Spark sind zwar zu einigen Teilen tatsächlich bereits aus der Post-Privacy-Debatte bekannt. Doch die (zumeist abstrakten) Ausführungen der Befürworter einer Überwindung der Privatheit haben ja nur sehr begrenzt Einfluss auf konkrete Produkte beziehungsweise unternehmerische Gebilde ausüben können. Aus einem sehr einfachen Grund: Weil sie mehrheitlich abgelehnt werden. In Ihrem Film verleihen Sie ihnen aber eine Relevanz, die sie in der Realität nie hatten. Und das ist eine Verzerrung des Diskurses – und damit an der Grenze zur Unredlichkeit. Filmemacher würden vielleicht auch Scheiße sagen. Your words, not mine.
Herr Vorragend
01.03.2016 11:15 Uhr 3
Zitat aus dem Artikel: "Kein einziger der bekannten Player fordert auch nur im Ansatz so etwas wie eine vollständige Auflösung von Privatheit oder wird so etwas je fordern oder vorschlagen."



Damit dürften Sie durchaus Recht haben, Herr Miller. Ich würde dem aber folgendes Zitat entgegenhalten:

"You have zero privacy anyway. Get over it." Scott Nealy, CEO der Firma SUN



Ich denke, dieses Zitat (übrigens aus dem Jahr 1999, also bereits 17 Jahre alt) trifft die im Silicon Valley weit verbreitete Denkweise eher als das, was Sie da aus dem Film heraus zu hören glauben.

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