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Einen anderen Weg schlägt die RTL-Gruppe ein, die mit Reihen wie «Die ultimative Chartshow», «Duell der Jahrzehnte», «I Like the 90s» oder «Formel Eins» Momente der Vergangenheit allein für ihren Selbstzweck in meist heiterer, völlig unkritischer Weise aufwärmt und in ein wohliges „Wisst Ihr noch damals...?“-Gefühl einmummelt. Seit einigen Monaten erhält dieses Rückschauprinzip mit dem Sender RTLplus eine weitere Steigerung, wo ausschließlich frühere Serien und Programmideen exhumiert werden. Hier sind insbesondere die neuproduzierten Ausgaben der Gameshows «Jeopardy!», «Familienduell», «Ruck Zuck» und «Glücksrad» zu nennen, die den täglichen Feierabend mit der behaglichen Nostalgie der 90er-Jahre erwärmen sollen und sich derart streng an ihren Vorlagen orientieren, dass zwischen altem Original und Neuauflage kaum ein Unterschied zu erkennen ist. Als hätte es die vergangenen 20 Jahre nie gegeben.
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Die gute alte Zeit...
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Ob in Deutschland, Frankreich, Österreich, Großbritannien, Ungarn oder in den USA, überall verbreitet sich derzeit eine bemerkenswerte (um nicht zu sagen bedrohliche) Rückwärtsgewandtheit unter einem Großteil der Bevölkerung. Getrieben von einer Angst vor allzu großen Veränderungen versuchen diese Menschen, auf aktuelle Herausforderungen mit überholten Lebensmodellen und vergangenen (Wert-)Vorstellungen zu antworten und rufen nach einer Gesellschaftsordnung die wir bereits hinter uns gelassen glaubten. Egal ob dies als Abkehr vom „links-rot-grün-versifften 68er-Deutschland“ bezeichnet oder unter dem Slogan „Make America Great Again“ propagiert wird, stets verbirgt sich dahinter die Forderung, die zivilisatorischen Errungenschaften und sozialen Weiterentwicklungen der vergangenen Jahre rückgängig zu machen, um sich in der guten, alten Zeit niederlassen zu können, in der Hoffnung, dass mit solch einfachen Lösungen all die komplexen Probleme wie von Zauberhand verschwinden. Jene weltweit um sich greifende Sehnsucht nach der Vergangenheit und die daraus resultierende Ablehnung von Modernisierungsprozessen ist es, die gerade politische Kräfte erstarken lässt, die längst als überwunden galten.
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Hier ist die Welt noch in Ordnung...
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Dort lässt sich aber auch Oliver Geissen von männlichen Mitspielern dafür danken, dass denen als Kontrahentinnen ein Team aus blonden, jungen Frauen und damit eine ansprechende Aussicht gegenüber gestellt wird. Dort lacht man noch beherzt darüber, wenn als Synonym für „Hupe“ das Wort „Titten“ fällt. An diesem antiquierten Bild kann auch die Tatsache nichts ändern, dass mit Inka Bause endlich eine Frau zur ehemals rein männlichen Moderatoren-Riege hinzu gestoßen ist, weil das Geschlechter-Verhältnis mit einem Wert von 1:3 weiterhin deutlich unausgeglichen bleibt.
Demnächst kommt mit «Tutti Frutti» (diesmal bei RTLNitro) ein weiterer Vertreter hinzu, der ebenfalls aus den 90ern stammt und in vergleichbarer Art reaktiviert wird. Dann werden Frauen wieder als Früchtchen bezeichnet, auf deren nackten Brüsten die gewonnenen Punktezahlen kleben. Das ist Fernsehen aus einer Zeit vor Gender-Sternchen, vor „Nein heißt Nein“ und vor dem „Hashtag Aufschrei“.
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Dafür ist entscheidend, dass die abgelegten Konzepte nicht einfach in Form von alten Ausgaben wiederholt, sondern neu inszeniert werden. Bei der schlichten Wiederholung von Folgen aus den 90ern bliebe ein zeitlicher Abstand sichtbar, sodass zugleich eine inhaltliche Distanz automatisch indiziert wäre. Reinszeniere ich diese Formate allerdings ohne sie grundlegend inhaltlich zu modernisieren, legitimiere ich die rückständigen Rollenbilder und bestätige die Gültigkeit der eigentlich gestrigen Werte.
Vorwärts nimmer, rückwärts immer!
Das soll nicht heißen, dass jede Person, die gern das «Glücksrad» schaut, direkt zum Reaktionär oder zur gesellschaftlichen Bedrohung wird. Ich möchte RTL ebenso wenig unterstellen, dass sie solche Kräfte bewusst unterstützen. Vielmehr geht es darum, sich bewusst zu sein, dass sich diese Elemente in die derzeitige weltweilte, politische Stimmungslage harmonisch einfügen und sie (ob absichtlich oder unabsichtlich) befeuern.
Es ist nie ratsam, es sich zu bequem in der (eigenen) Vergangenheit zu machen, weil diese in der Regel romantisch verklärt und bloß trügerisch harmonisch ist. Das Rad der Zeit lässt sich nicht zurückdrehen, der technische und zivilisatorische Fortschritt nicht aufhalten und die Globalisierung und ihre Auswirkungen nicht ungeschehen machen. Die Lösung für diese Probleme kann daher nicht sein, sich eine Gesellschaft und ein Fernsehen wie vor 20 Jahren zu wünschen. Dieser Ansatz führt dazu, die Augen vor den Bereicherungen und Chancen zu verschließen, die ein Blick nach vorn liefern kann.
Eine Bevölkerung, die mehr nach hinten als nach vorn schaut und auch hauptsächlich von einem solchen Fernsehprogramm unterhalten wird, schlägt einen unheilvollen Weg ein, denn damit geht meist der Wunsch einher, diesen früheren Status um jeden Preis erhalten und Veränderungen feindlich bekämpfen zu wollen. Es ist in Donald Trumps Wahlspruch „Make America Great Again“ das Wort „Again“, das brandgefährlich ist und unsere moderne, vielfältige, liberale und demokratische Gesellschaft bedroht.
Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am Donnerstag, den 15. Dezember 2016.
Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
01.12.2016 12:48 Uhr 1
01.12.2016 14:17 Uhr 2
01.12.2016 17:02 Uhr 3