DebatteWarum ProSieben «Masked Singer» neu denken sollte

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In den letzten zwei Staffeln erlebte der einstige Straßenfeger «The Masked Singer» einen üblen Quotenabsturz. Die abgenutzte Dramaturgie braucht eine grundlegend neue Dynamik. Mario Thunert begibt sich auf Ideensuche.

Erinnern Sie sich noch? – Was war das für ein gigantischer Aufschlag, als «The Masked Singer» 2019 zum absoluten Sommerhit und wohl größten TV-Hype seit «Deutschalnd sucht den Superstar» mutierte. Bis auf fulminante 40 Prozent in der Zielgruppe steigerte sich die von Matthias Opdenhövel präsentierte Maskenenthüllung zum Finale – in der Spitze wurden in einigen Altersklassen gar bis zu 50 Prozent gemessen. Während sich die Zuschauerzahlen im anschließenden Jahr in kometenhaften Sphären halten konnten (37 Prozent MA Finale; 27,6 Prozent Schnitt Frühjahrsstaffel 2020), setzte mit der Programmierung von zwei Staffeln pro Jahr ein sukzessiver Abwärtstrend auf hohem Niveau ein (24,4 Prozent Schnitt Herbststaffel 2020/Staffel 5: 22,7 Prozent Schnitt).

Spätestens mit seinem achten Durchlauf im Frühjahr 2023 (17,6 Prozent Schnitt) wurde der Ratespaß dann aber von einem Überflieger zu einem normal erfolgreichen Format, dass seine lagerfeuerartige Breitenwirkung inzwischen eingebüßt hatte. Die folgende Runde im Herbst 2023 bedeutete schließlich eine weitere Zäsur, in der der Zielgruppenanteil bis auf 11 Prozent abglitt und damit den einstigen Leuchtturm zum grauen Mäuschen machte. Doch die Fahnenstange der Abwärtsskala war damit noch immer nicht erreicht: So fiel die 5. Ausgabe der aktuellen Staffel erstmalig in den einstelligen Bereich (später leicht nachgewichtet), der für eine derart aufwändige Show-Produktion nicht mehr zufriedenstellend sein kann. Schreitet diese Entwicklung weiter voran, benötigt man nicht viel Phantasie, um zu befürchten, dass der einstige Hit vollends zum Flop zu werden droht.

Soll dies vermieden werden, ist der erste Ansatz, der dringend angegangen werden muss, die (unnötig) überdimensionierte Sendelänge (teilweise bis nach 0:00 Uhr), die «Masked Singer» inzwischen wie eine zähe aufgeblähte Kaugummi-Veranstaltung wirken lässt. Immer wieder macht sich das Gefühl breit, dass Sendezeit gestreckt wird, um nach hinten raus lange genug in die Nacht senden zu können (übrigens eine Unsitte, die sich in vielen deutschen Primetimeshows eingeschlichen hat, Stichwort ‚Dehntertainment‘). Fatalerweise sorgt genau diese Herangehensweise dafür, dass auch bei «TMS» wenig Zug/Schwung in den Abläufen steckt, der bei einer dichteren Taktung dafür sorgen kann, dass alles Knall auf Fall passieren würde. Insgesamt wird bei der Masken-Show sowohl über eine gesamte Staffel verteilt, als auch innerhalb einer Live-Ausgabe, zu oft (teils mittelmäßig bis unterirdisch) gesungen, ohne das (zumindest potenziell) etwas passiert.

Vor diesem Hintergrund bietet sich nicht nur eine Komprimierung der Sendezeit (bspw. auf 22:45/23:00 Uhr) an, sondern daraus folgend auch eine Reduzierung der Teilnehmer*innen-Zahl/der Masken. Darüber hinaus wäre es ein smarter Schachzug, «Masked Singer» zu einem kurzweiligen Sonder-Event zu machen, das einmal im Jahr an 1-2/allerhöchstens 3 Abenden stattfindet, um sich damit selbst wieder mehr zu etwas Besonderem zu machen. Denkbar wäre eine Doppelprogrammierung am Freitag & Samstag, bei der am nächsten Tag direkt das Finale über die Bühne geht.

Diese veränderten/verdichteten Rahmenbedingungen müssten dann auf eine verstärkte Zuspitzung der bisherigen Prämisse abzielen, mit der die Taktung der Demaskierungen (potenziell) deutlich verkürzt und somit ihre Anzahl innerhalb einer Ausgabe deutlich erhöht wird. Also ein Ansatz, der das Prinzip des Weihnachtsspecials ausbaut. In diesem Sinne wäre eine abgewandelte Dramaturgie vorstellbar, bei der eine unbekannte Anzahl an Promis mit zuvor völlig unbekannten Masken sofort ums nackte Überleben kämpft. Hierbei ginge es für die einzelnen Stars dann darum, mit allen Mitteln/Verstellungsmöglichkeiten zu verhindern, dass der eigene Name auch nur ein einziges Mal/so spät wie möglich von einem der Rate-Gegner*innen genannt wird, die ihrerseits aber nur noch eine limitierte Zahl an Rateversuchen haben – fällt der korrekte Name innerhalb einer Rate-Einheit, ist der Promi ausgeschieden und muss sich sofort demaskieren.

Ein solcher Ansatz würde zu einem unberechenbaren Spannungs- und unmittelbaren Entscheidungs-Moment zum Ende einer jeden Rate-Runde führen. Anschließend werden die Hinweise auf die weitergekommenen Teilnehmer*innen immer klarer – der Promi, der am längsten überlebt, gewinnt den Jahrestitel und eine Gewinnsumme von 1 Millionen Euro. Unberechenbar wird dieses Prinzip auch durch die theoretische Möglichkeit, dass das Rate-Team die Promis sehr schnell enttarnen kann und die Show damit auch recht früh vorbei wäre – ein völlig offenes Ende der Sendezeit also, welches die Live-Fallhöhe weiter ansteigen ließe. Bei dieser Variante böte es sich sicher an, «TMS» als einmaliges Jahres-Event an nur einem Abend zu positionieren.

In einem leicht abweichenden Konzeptmodell könnte sich der Fokus stärker von den Promis auf das Rate-Panel verlagern, welches nicht mehr gemeinsam, sondern in (2/3) einzelnen gegnerischen (2er)Teams um die Wette rätseln würde. Hierbei ginge es dann nicht mehr darum, welcher Masken-Promi, sondern welches Rate-Team die 1 Millionen Euro gewinnt. Besagte Teams ließen sich dementsprechend mit einer bekannten Person + einer Person aus dem Publikum bestücken, für die das Geld dann gewonnen wird. Entweder, das Team, welches am schnellsten die meisten Masken enttarnt, gewinnt (Buzzersystem), oder das Team, welches die meisten nicht enttarnten Masken gegen die anderen platziert. Bei der Version würden bestimmte maskierte Promis zu einem Rate-Team gehören, welche die Gegner*innen dann möglichst aufdecken müssen. (Ggf. kennt ein Rate-Team den ihm zugewiesenen Promi-Pool, und kann strategisch aus ihm auswählen).

Jenes Spielsystem lässt sich theoretisch auch auf einen Modus anwenden, innerhalb dessen ein prominentes Rate-Duo gegen ein Normalo Rate-Duo antritt. Abwechselnd würde dann das prominente Duo pro Runde jeweils eine für alle unbekannte Maske auswählen, die für sie antritt. Im Gegenzug packt das Normalo-Duo eine für die Zuschauenden bekannte Person unter die Maske, die nur für das gegnerische Team unbekannt ist. Die Zuschauenden zu Hause könnten die Normalos unterstützen und folglich per App für sie mitbestimmen, welcher Promi am besten zur Maskierung ausgewählt werden sollte – dadurch würden sie affektiv stärker in den Wettkampf gegen das prominente Rate-Duo eintreten. Mit Bezug zu den Sendeterminen lassen sich für diesen Ablauf sowohl ein einmaliger Abend als auch zwei aufeinander folgende Ausstrahlungstage (Freitag + Samstag) denken, zwischen denen die Rate-Teams aber isoliert werden und nicht im Internet recherchieren dürfen.

Alle bisher angestrebten Gedankenspiele lösen allerdings immer noch nicht ein genanntes Problem der jüngeren «MaskedSinger»-Vergangenheit - die überdurchschnittliche Häufung von unterdurchschnittlichem Gesang, der die Show zuweilen recht anstrengend macht. Um diesem Faktor entgegenzuwirken, sei an dieser Stelle eine letzter Konzeptaspekt entworfen: Statt um die Entlarvung diverser Promis aus unterschiedlichen Bereichen, könnte es um die Identifizierung von einem/oder mehreren (maskierten) prominenten Gesangsstars gehen, der/die in einem Feld von weiteren maskierten unbekannten Sänger*innen, Gesangstalenten und weniger begabten Amateuren auftritt/auftreten (durchschnittliche Erhöhung des Gesangsniveaus). Neben der Enträtselung des Star-Sängers würden dann auch die Einschätzungen, ob es sich jeweils um Profi-Sänger*innen handelt oder eben nicht, zu einem entscheidenden Faktor werden, der darüber mitbestimmt, welches Rate-Team am Ende gewinnt – wer mehr Profis & Stars ins Finale wählt, erhält die Millionen.

All diese unterschiedlichen Ansätze stoßen in eine Richtung: Mehr Dynamik in einem komprimierteren und kürzeren Zeitraum als konzentriertes jährliches Highlight-Event, welches zudem durch stärkeren Wettbewerbscharakter und hohe Gewinnsumme an Fallhöhe zulegt. Die Verantwortlichen von ProSieben und Endemol-Shine-Germany müssen sich entscheiden, ob sie eine mäßig laufende Reihe erhalten wollen, um Sendeplätze zu füllen, oder einen herausstechenden Leuchtturm als Highlight zurückbringen möchten, das einmal im Jahr wieder für einen Aufschlag sorgt.