InterviewSimon Verhoeven: ‚Das Leben spielt sich aber mehr in Grautönen ab‘
von Fabian Riedner04. November 2024
„Nicht jeder alter weißer Mann ist ein alter weißer Mann“, betont Verhoeven, und sieht darin das Potenzial, Menschen von stereotypen Rollenbildern zu lösen.
Hallo Herr Verhoeven! Wovon handelt ihr neuer Spielfilm?
Er handelt von dem rutschigen Tanzparkett, auf dem wir heutzutage als Gesellschaft miteinander tanzen. Da kann jeder Mensch ziemlich schnell ausrutschen, auch wenn er eigentlich alles richtig machen will. Meine Hauptfigur heißt Heinz und Heinz will eben genau KEIN alter weißer Mann sein. Er versucht, modern, woke und politisch korrekt zu sein. Dabei schießt er allerdings auch oft über das Ziel hinaus und macht damit gewisse Übertreibungen unserer Zeit sichtbar. Aber es geht eben nicht nur um Heinz. Im Zentrum meines Films steht ein sehr diverses Dinner, mit vielen Charakteren. Da prallen viele Blickwinkel aufeinander, kontrovers, aber auch mit überraschenden, versöhnlichen und auch berührenden Ergebnissen, denke ich. Vor allem aber mit Humor.
«Alter weißer Mann» ist ein provokativer Titel. Was hat Sie dazu inspiriert, diese Phrase als Grundlage für eine gesellschaftliche Komödie zu verwenden?
Ich finde den Titel eigentlich gar nicht so provokativ. Bei mir ist er mit einem Augenzwinkern gemeint. Er ist einer von vielen Kampfbegriffen, mit denen wir heute hantieren. Andere sind zum Beispiel „Gutmensch“ oder „Klimagöre“. Die Art und Weise, wie wir heute Diskurse führen, ist sehr polarisierend. Die Realität der Bevölkerung ist aber viel widersprüchlicher, nuancierter, individualistischer und differenzierter. Ich möchte die Leute aus ihren Schubladen rausholen. Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Natürlich war und ist es wichtig, den alten weißen Mann - im ursprünglich gemeinten Sinne - vom Podest zu stoßen, damit gewisse Veränderungen überhaupt stattfinden können. Gleichzeitig tut man vielen Menschen mit diesen Schubladen aber natürlich mittlerweile auch unrecht. Mein Vater zum Beispiel war bis zu seinem Tod mit 85 Jahren ein extrem toleranter, offener Mensch, ein junges Herz, ein Kämpfer für soziale Gerechtigkeit, auch wenn er niemals richtig gegendert hätte. Nicht jeder alter weißer Mann ist ein alter weißer Mann. Und darum geht es doch. Wer man wirklich ist und wie man mit den anderen umgehen möchte. Darum geht es in meinem Film, nicht nur für den alten weißen Mann, sondern für uns alle.
Sie greifen in Ihrem Film Themen wie Political Correctness und Wokeness auf. Wo sehen Sie die Grenze zwischen berechtigter Sensibilität und übertriebener Reaktion?
Die Zeiten haben sich sehr geändert, und das ist in vielen Belangen natürlich richtig. Ist doch klar, dass man heutzutage manche Begriffe nicht mehr benutzt und ein anderes Bewusstsein entwickelt hat. Man fragt sich ja teilweise, wie konnte man so lange so rücksichtslos sein. Genauso wie man sich heutzutage fragt, wie konnte es früher erlaubt sein, in Zügen, Restaurants oder gar Passagierflugzeugen zu rauchen?! Ernsthaft?! Vieles an früheren Zeiten erscheint einem doch heute absurd. Aber es gibt eben auch über-woke Übertreibungen und Irrwege, die man als demokratisch-rationaler Mensch einfach nicht mitgehen kann. Gerade auch nicht als Linker. Extrem kritisch sehe ich zum Beispiel Wokeness bei vielen Konzernen. Da ist ja nichts dahinter, man versucht nur Shitstorme zu vermeiden und den Profit zu steigern – und wenn man dafür superdivers und gendersensibel erscheinen will, so macht man das halt mit. Aber das ist nur ein Feigenblatt. Darüber mache ich mich definitiv lustig. Wenn an Unis Professorinnen mit Thrillerpfeifen niedergemacht werden, weil sie die biologische Realität von zwei Geschlechtern vertreten, so ist das für mich kein Fortschritt des Diskurses, sondern ein undemokratisches und letztlich reaktionäres Phänomen. Wenn Transfrauen in Sportwettbewerben andere Frauen deklassieren, so sehe ich das auch nicht nur als Fortschritt, sondern auch als einen Rückschritt für den Feminismus. Es ist eine komplexe Frage mit keinen einfachen Antworten. Wenn man zuhause vietnamesisch kocht, so ist das natürlich keine kulturelle Aneignung. Und wenn man kritische Fragen zur islamisch-männlichen Migration nach Europa stellt, so ist man dadurch nicht automatisch rechts. Im Gegenteil. Kritik an patriarchalisch geprägten Religionen kam traditionell immer von links, das ist ja beim Katholizismus auch weiterhin so. Und wenn man in alldem, was ich jetzt gesagt habe, anderer Meinung ist, so ist das natürlich auch ok! Aber deshalb muss man sich nicht gegenseitig hasserfüllt anschreien, mit Kampfbegriffen belegen und in diffamierende Schubladen stecken. Diese Fragen sind eben komplex, es gibt nicht nur Schwarz und Weiß. Und wenn sich Demokraten zerfleischen, freuen sich nur Extremisten. Es gibt so viele Absurditäten, Fallstricke, Fettnäpfchen und Verwirrungen im heutigen Diskurs. Der Zeitgeist an sich ist ja auch total widersprüchlich - ein tolles Tanzparkett für eine Komödie.
Der Film behandelt brisante gesellschaftliche Themen mit Humor. Wie haben Sie sichergestellt, dass die Komik nicht das eigentliche Anliegen verwässert?
Indem ich meine Themen sehr ernst nehme. Bloß weil Filme Humor haben, heißt das ja nicht, dass sie ihre Themen nicht ernst nehmen können. Humor hilft, zu entkrampfen und auch etwas mehr das Herz zu aktivieren, nicht nur das Hirn. Andere Menschen und auch sich selbst, mit mehr Verständnis, mehr Menschlichkeit zu sehen. Die Menschen hinter den Meinungen zu sehen. Ihren Kontext. Und damit meine ich natürlich keine Extremisten oder Rassisten. Für die gibt es bei mir zero Verständnis. Aber mir werden die Schubladen heutzutage zu schnell aufgemacht. Lachen befreit. Im Kino wie im ganzen Leben. Auch mal über sich selbst lachen zu können, hilft ungemein. Und die allermeisten Menschen in der Bevölkerung können das auch.
Jan Josef Liefers spielt die Hauptrolle des Heinz Hellmich, der sich als moderner Mann beweisen will. Wie haben Sie diese Figur entwickelt und warum passte Liefers perfekt in diese Rolle?
Jan Josef ist ein wunderbarer Komödiant, der aber dazu auch eine Sensibilität und Tiefe hat. Auch eine Traurigkeit. Meine Figur ist ja teils auch einsam, disconnected von der Familie, verwirrt über seine Position in der Gesellschaft. Diese Traurigkeit, diese Erschöpfung und Einsamkeit liegt bei Jan unter allem – und gleichzeitig kann er unfassbar komisch sein. Ich habe von Anfang an, an ihn gedacht, bereits beim Schreiben. Er ist ja auch ein geerdeter Volksschauspieler – besitzt eine geradezu Rühmannsche Qualität mittlerweile. Er kann den gutmeinenden Max Mustermann spielen, mit dem sich viele identifizieren können. Dass er privat zudem jemand ist, der auch mal eine Meinung hat und sich traut, diese zu äußern – egal ob man diese nun teilt oder nicht – finde ich gut. Ich denke, wir müssen lernen, auch wenn wir Meinungsverschiedenheiten haben, anders miteinander umzugehen als mit Hass, Häme und Kampfbegriffen. Diese groben Polarisierungen werden von social media leider extrem befeuert. Das Leben spielt sich aber mehr in Grautönen ab. Differenzierter.
In «Alter weißer Mann» gibt es viele Fettnäpfchen und Missverständnisse. Was waren für Sie die größten Herausforderungen bei der Inszenierung dieser heiklen Situationen?
Ich denke, man muss immer spüren, dass die Figur das Herz auf der richtigen Seite hat. Wenn Heinz zum Beispiel im Traum träumt, ein „Indianer“ zu sein, so ist das eine interessante Frage. Kann man einem Menschen seine Träume vorwerfen? Vielleicht kommen sie aus seiner Kindheit. Muss er sich für diesen Traum dann schämen? Anscheinend verehrt er Winnetou, so wie er ihn aus seiner Kindheit kennt. Ich stelle das nicht unkritisch oder unsensibel dar, sondern komplex. Ich habe einfach einen liebevollen und augenzwinkernden Blick auf uns Menschen – und ihre Sehnsüchte und Fehler. Wenn ein echter Rassist etwas Unsensibles oder Verletzendes sagt, so ist das halt nicht witzig. Wenn aber ein gutmeinender Normalbürger versucht, total woke oder modern zu sein, und immer korrekt zu gendern, so kann das sehr witzig sein. Ich suche immer die Balance zwischen Sensibilität und Komik. Wenn man Komödien macht, die einfach nur 100 Prozent politisch korrekt sind, so sind sie halt selten witzig und auch niemals menschlich, ehrlich oder wahrhaftig. Denn das Leben an sich ist ja auch viel widersprüchlicher, wilder und witziger als es eine radikale, klinisch reine Welt der political correctness jemals erlauben würde.
Der Film greift den Wandel der Gesellschaft auf, insbesondere in Bezug auf Sprache und Geschlechterrollen. Welche Rolle spielt die Generationenfrage in dieser Debatte?
Gar nicht so eine große. Wenn Sie mit jungen Leuten sprechen, mit 14-Jährigen zum Beispiel, so gendern manche total selbstverständlich, andere lehnen es eher ab. Die Mehrheit gendert nun mal nicht, das ist die Realität. Aber jüngere Leute sind in vielen anderen Fragen unserer Zeit total weit und gehen viel selbstverständlicher mit nichtbinären Personen oder auch Menschen mit Migrationsgeschichte um. Finde ich toll. Aber die Grenzen laufen eben nicht nur zwischen Jung und Alt. Es gibt auch junge Leute, die „alte weiße Männer Ansichten“ haben. Oder denken Sie an die Taliban. Die sind nicht mal weiß, aber vermutlich die ältesten weißen Männer der Welt, was ihre Einstellungen betrifft. Es gibt viele Widersprüchlichkeiten. Ein Altlinker oder eine ältere Feministin verstehen ja oft die Welt nicht mehr, wenn sie plötzlich als konservativ oder gar rechts gelten. Was genau heißt heute eigentlich links? Ist Sarah Wagenknecht links? Sogar die Begriffe sind doch gerade viel verwirrter als früher. Die Schubladen passen alle nicht mehr so richtig.
Wie haben Sie die Balance zwischen ernsthafter Auseinandersetzung und Leichtigkeit in der Komödie gefunden, um sowohl zum Nachdenken als auch zum Lachen anzuregen?
Ich habe lange und intensiv an dem Drehbuch gefeilt, klar. Natürlich will ich dabei einen Kinosaal fesseln und unterhalten – aber ich denke, die Liebe, die ich zu meinen Figuren habe und die Ernsthaftigkeit der Beschäftigung mit ihren Leben, Nöten und Themen, das spüren die Leute, die den Film sehen. Es ist immer ein Balanceakt. Ich möchte nicht nur unterhalten. Ich möchte Filme machen, die mich selbst zum Nachdenken bringen. Die Fragen stellen, auf die ich nicht immer Antworten habe. Ich mag Filme, die unterhalten und berühren, aber auch zum Nachdenken anregen. Wobei das Publikum verschiedene Impulse daraus ziehen kann.
Ihr Film «Willkommen bei den Hartmanns» war ein großer Erfolg und behandelte ebenfalls gesellschaftliche Themen. Wie unterscheidet sich «Alter weißer Mann» in seiner Herangehensweise?
Gar nicht mal so sehr. „Willkommen bei den Hartmanns“ war auch ein Film, der eine Balance zwischen Ernsthaftigkeit, Emotionalität und Humor gesucht hat – der auch einen Cringe-Faktor hatte, wenn eine bürgerliche Familie versucht, die „Guten zu sein“ und alles richtig zu machen. Generell spiele ich immer mit Klischees der Zeit, das müssen Komödien auch, sie brauchen klare Gegensätze für ihre Reibung. Dabei baue ich oft gewisse Klischees auf, um sie dann zu brechen oder ad absurdum zu führen. Ein gutes Beispiel in «Alter weißer Mann» ist der indische Fahrradkurier Hilmal, gespielt vom wunderbaren Juri Rother, der sich plötzlich als Konzertpianist entpuppt. Auch „Willkommen bei den Hartmanns“ hat sehr viel mit Klischees gespielt, aber hatte bei allem Spaß auch eine kritische Nachdenklichkeit. Ich wollte einen hoffnungsvollen Film über diesen individuellen Geflüchteten erzählen, aber habe damals auch versucht, zu zeigen, dass die Realität viel komplizierter als die Willkommenseuphorie sein würde. Und viel herausfordernder.
Mit Elyas M’Barek und Meltem Kaptan haben Sie ein starkes Ensemble, das Diversität auf die Leinwand bringt. Welche Bedeutung hatte das Casting für die Umsetzung der Geschichte?
Das Casting war – wie eigentlich immer - allesentscheidend. Man kann ein Drehbuch schreiben, das auf dem Papier super funktioniert, aber zum Leben erwecken können es nur die Schauspielerinnen und Schauspieler – ihre Chemie macht den Unterschied aus. Meine Casterin Daniela Tolkien hat mir geholfen, ein einzigartiges Ensemble zu finden: von Nadja Uhl, die jedem Film mehr Tiefe gibt, über die fantastischen Friedrich von Thun, Michael Maertens, Yun Huang, Denise M`Baye als auch unser junger Cast bis hin zu den kleineren Rollen. Dass zum Beispiel ein brillanter Schauspieler wie Bruno Alexander bei mir eine so kleine Rolle übernommen hat, ist großartig. Mein Job ist es dann, die Kraft dieser aufeinanderprallen Persönlichkeiten für die Geschichte zu kanalisieren. Elyas habe ich schon vor 15 Jahren in meinen „Männerherzen“ besetzt, als er noch kein großer Star war, wir kennen uns also lange und gut. Ich finde, er legt eine extrem starke schauspielerische Leistung in dieser schwierigen Rolle hin. So hat man ihn noch nie gesehen. Und Meltem Kaptan ist einfach ein Geschenk. Ihr Spirit, ihr Talent, ihre unverkrampfte Art stehen für den ganzen Film.
Sehen Sie «Alter weißer Mann» als Reaktion auf die aktuellen gesellschaftlichen Spannungen? Welche Botschaft möchten Sie dem Publikum mitgeben?
Filme entstehen natürlich oft aus den seismografischen gesellschaftlichen Schwingungen, die ich genauso spüre, wie andere Menschen auch. Aber ich möchte keine Filme machen, die eine eindimensionale Botschaft haben. Sowas gehört für mich eher ins Schulfernsehen. Wenn in meinem Film so etwas wie eine Botschaft mitschwingt, dann natürlich eine versöhnliche. Nicht so schnell mit Kampfbegriffen hantieren. Nicht so schnell Menschen in Schubladen stecken. Die Menschen als Individuen begreifen, mit Widersprüchen und Fehlern. Den anderen auch mal zuhören, nicht nur die eigene Meinung zum xten Mal reproduzieren. Und selbst wenn harte Meinungsverschiedenheiten bestehen, sich an einen Tisch setzen können. Die Menschen hinter den Meinungen sehen. Ihren Kontext verstehen. Humor über sich selbst behalten. Einen liebevollen und gutmeinenden Blick auf die anderen. Das alles gilt natürlich nicht für Extremisten. Für die ist mein Film nichts, die haben ja auch keinerlei Humor über sich selbst. Die kann man nicht erreichen. Da hilft nur harte Kante. Aber die meisten Menschen da draußen sind eben keine Extremisten.
Wie hat sich die Zusammenarbeit mit Ihren Produzenten Quirin Berg und Max Wiedemann im Laufe der Jahre entwickelt, und welchen Einfluss hatten sie auf dieses Projekt?
Wir haben eine sehr vertrauensvolle und intensive Zusammenarbeit, klar. Seit etwa 15 Jahren machen wir zusammen Filme, das hat uns zusammengeschweißt. Wenn ich Filmideen habe oder Drehbücher beginne zu entwickeln, spreche ich zuallererst mit Ihnen. Was die beiden als Produzenten auf die Beine gestellt haben, ist einfach beeindruckend. Ich weiß, was sie für besondere Instinkte für Stoffe haben und mit welch unermüdlicher Leidenschaft sie für ihre Filme kämpfen. Aber auch das Feedback meiner Produzentin Kirstin Winkler und vieler weiterer Mitarbeiterinnen, ist essentiell für meine Arbeit. Ich möchte viele Blickwinkel verstehen, besonders, wenn ich einen Film über die Gesellschaft schreibe. Ich spreche auch viel mit meiner Frau und meinen Kindern über Filmideen. Manchmal auch mit Taxifahrern oder anderen Menschen, die ich kurz kennenlerne. Ich möchte ständig Impulse bekommen, aus der echten Welt. Ungefiltert.
Danke für Ihre Zeit!
«Alter weißer Mann» ist seit Donnerstag, den 31. Oktober 2024, in den deutschen Kinos zu sehen.