InterviewAram Tafreshian: ‚Dom ist eine Figur voller Widersprüche‘
von Fabian Riedner25. Februar 2025
Der Schauspieler ist nicht nur ab sofort in der neuen AppleTV+-Serie zu sehen, sondern auch auf der Berlinale mit «Schwesterherz» vertreten. Dort versuchte Tafreshian auch möglichst viele Filme zu sehen.
«Schwesterherz» feiert seine Premiere auf der Berlinale. Was bedeutet es für Sie, Teil eines so renommierten Festivals zu sein?
Das ist natürlich etwas ganz Besonderes. Nicht zuletzt, weil ich dieses Jahr zum ersten Mal das Glück hatte, während der Berlinale nicht arbeiten zu müssen und so viele Filme wie möglich sehen wollte. Dass dann sogar ein Film läuft, an dem ich auch beteiligt war, machte es natürlich umso schöner! Zumal der Film dann auch noch eine tolle Resonanz erfuhr und wir auch bei anderen Screenings immer wieder darauf angesprochen wurden. Insgesamt habe ich so viele besondere, mutige und aufwühlende Filme aus aller Welt gesehen, dass ich mit sehr viel Hoffnung, Tatendrang und Inspiration aus diesem Festival gehe!
Können Sie uns einen kleinen Einblick in Ihre Rolle in «Schwesterherz» geben? Welche Themen behandelt der Film?
In «Schwesterherz» geht es um eine junge Frau, Rose, die nach der Trennung von ihrer Freundin bei ihrem Bruder Sam unterkommt. Eines Nachts hört sie, wie dieser jemanden mit nach Hause bringt. Wenige Tage später bekommt Rose eine Vorladung als Zeugin zur Polizei: Es gibt einen Vergewaltigungsvorwurf gegen Sam. Der Film erzählt von Roses innerem Konflikt und davon, wie sie sich zu den Vorwürfen und ihrer Familie verhält. Zunächst glaubt sie ihrem Bruder, der behauptet, es sei ein „Missverständnis“ gewesen. Doch spätestens, als sie bei der Zeugenbefragung durch den ermittelnden Kommissar genau erfährt, wie brutal der Übergriff abgelaufen ist und dass sich die Beschreibungen des Opfers damit decken, was sie aus dem Nebenzimmer gehört hat, steht ihre Welt Kopf.
Diesen Kommissar darf ich spielen. Das Besondere an der Arbeit mit Sarah ist, dass auch eine solche Rolle, die rein funktional sein könnte, in all ihrer Tiefe und Widersprüchlichkeit ergründet wird. In Echtzeit, unerträglich lang, so wie es sich für Rose wohl auch anfühlen muss, sind wir in diesem kleinen Raum und folgen den Höhen und Tiefen der Befragung. Die Szene war im Drehbuch über zehn Seiten lang und teilweise schwer zu ertragen, aber Sarah hat uns da wahnsinnig viel mitgegeben und sehr genau recherchiert und mit der tollen Marie Bloching zu spielen war eine große Freude! Wir haben uns zum Glück sehr gut verstanden, sodass man schnell frei Spielen konnte, aufeinander reagieren, Dinge weglassen oder improvisieren, was neben der genau beobachtenden Kameraarbeit von Selma von Pohlheim Gravesen sehr zum Realismus dieser Szene beigetragen hat.
Berlinale ist bekannt für ihre gesellschaftlich relevanten Filme. Welche Botschaft oder Emotionen möchten Sie mit «Schwesterherz» beim Publikum hinterlassen?
Die Berlinale ist bekannt für ihre gesellschaftlich relevanten Filme, das kann ich bestätigen, nachdem ich jetzt unglaublich viele, unglaublich starke Filme sehen durfte. Ganz besonders sind mir da «1001 Frames» und «Hysteria» im Kopf geblieben, die es sich und den Zuschauenden nicht leicht machen und sich nicht mit einfachen Antworten auf komplexe Fragen zufriedengeben. Mein persönlicher Favorit war aber «Lesbian Space Princess», der mit kluger Lässigkeit, berührender Wärme und einem wunderbar albernen Humor das Patriarchat auseinandernimmt.
Was ich an diesen Filmen toll fand, ist etwas, was ich auch an «Schwesterherz» mochte: Der Film hat eben keine klare, einfache Botschaft, sondern stellt viele Fragen, die schwer zu beantworten sind. «Schwesterherz» geht genau dahin, wo es nicht eindeutig ist und fokussiert sich weder auf den Täter noch auf das Opfer einer Vergewaltigung (ohne deren Erfahrung auszublenden), sondern auf die Schwester des Täters. Was kann sie tun? Was muss sie tun? Was hätte sie vielleicht tun können? Warum fällt es ihr so schwer, das Richtige zu tun? Was wäre das richtige? Wie geht man mit einem Täter um? Wie beeinflusst so eine Tat nicht nur die unmittelbar Beteiligten, sondern deren ganzes Umfeld? Wie kann man Täter sichtbar machen und welchen Umgang kann man dann mit ihnen finden?
Bereits in ihrem ersten Film «SPIT» durfte ich mit Sarah arbeiten und fand es ganz besonders, wie sie beobachtet, Abgründe erkundet, Geschlechterbilder aufbricht, Figuren in all ihrem Zweifeln ergründet und deren Fehler nicht bewertet. Ich freue mich sehr auf alles, was da noch kommt!
In «KRANK Berlin» spielen Sie die Figur „Dom“, einen Arzt, der mit großem Druck in der Rettungsstelle kämpft. Was hat Sie an dieser Rolle besonders gereizt?
Ja, das war tatsächlich eine unglaublich reizvolle Rolle, weil darin so viel Uneindeutigkeit und verdrängte Ängste und Gefühle stecken. So etwas ist ein Geschenk für jede*n Schauspieler*in. Es fällt mir etwas schwer über Dom zu sprechen, weil ich an «KRANK Berlin» liebe, dass die Serie nicht zu viel erklärt, dass sie den Figuren auch ihr Geheimnis lässt und dass man das als zuschauende Person ganz, ganz langsam ergründen kann. Also vielleicht nur soviel: Dom taucht in den ersten beiden Folgen immer wieder als der „nette Arzt von oben“ auf, aus der Inneren, immer freundlich, immer entspannt. Doch als er im weiteren Verlauf in die Rettungsstelle wechseln muss, fängt die Fassade an zu bröckeln. Es werden Ängste, Fehler und Unsicherheiten sichtbar, die Dom immer verzweifelter und aggressiver zu verdecken versucht, eine fatale Abwärtsspirale…
Dom ist eine Figur voller Widersprüche – das hat mich sofort fasziniert. Ich fand es spannend, jemanden zu spielen, der mit den Zwängen seiner Erziehung, seines Selbstbildes und eines Ausbildungssystems kämpft, das junge Ärzt*innen oft unvorbereitet in die Praxis wirft. Bestenfalls schafft die Serie beides: Das einfache Bild der „Halbgötter in Weiß“ zu dekonstruieren und gleichzeitig spürbar zu machen, was die Menschen in diesen medizinischen Berufen jeden Tag übermenschliches Leisten, wie wenig Unterstützung sie bekommen und wie viele Steine ihnen in den Weg gelegt werden – an denen letztlich viele Zerbrechen.
Sie haben sich intensiv auf diese Rolle vorbereitet, u. a. mit Ihrer Schwester, die Ärztin ist. Wie hat ihr Input Ihre Darstellung beeinflusst?
Ja das war tatsächlich der Grund, warum ich schon immer gerne einen Arzt spielen wollte! Denn durch meine Schwester hatte ich ja mitbekommen, was das wirklich bedeutet, in einem Krankenhaus zu arbeiten. Wie der Alltag dort aussieht – nicht nur fachlich, sondern vor allem emotional, was es bedeutet, Tag für Tag mit Krankheit, Tod und absoluten Notzuständen konfrontiert zu sein. Unsere Welt ist ja so organisiert, dass diese Dinge meist hinter geschlossenen Türen passieren. Doch die Menschen, die dort arbeiten, müssen das täglich aushalten und es wird ihnen selbst überlassen, ob und wie sie das Erlebte verarbeiten. Wenn ich mit meiner Schwester oder Freund*innen spreche, dann bin ich immer wieder erstaunt, dass es an ihnen selbst liegt, ob sie sich jemanden suchen, mit dem sie über das Erfahrene sprechen können oder wie sie das Erfahrene verarbeiten. Ich hoffe sehr, dass diese Serie vielleicht ein wenig mehr das Bewusstsein dafür schärfen wird.
In dieser Hinsicht finde ich es übrigens besonders zynisch, wie fahrlässig einige Politiker*innen über psychische Erkrankungen und Migration sprechen – wenn sie über Grenzschließungen, Rückführungen oder Listen für psychisch Erkrankte fantasieren, als könnte man Menschen, die einer bestimmten Norm nicht entsprechen, einfach aussortieren! Stattdessen bräuchte es mehr medizinisches Personal, mehr psychologische Betreuungsangebote, ein Gesundheitssystem, das für alle da ist, egal wo sie herkommen oder wie sie versichert sind.
Zusätzlich haben Sie mit Kristof Konrad aus Los Angeles gearbeitet, der mit Archetypen und Tieren als Inspiration für Rollen arbeitet. Wie hat diese unkonventionelle Methode Ihr Spiel geprägt?
Ja, ich hatte das große Glück, mit Kristof Konrad körperlich und mit Matthias Beier am Skript zu arbeiten. Beides war in der Vorbereitung eine unglaubliche Bereicherung! Matthias eröffnet einem immer sehr überraschende, manchmal auch verstörende, Perspektiven auf eine Figur, das ist in der Vorbereitung wahnsinnig wertvoll. Besonders liebe ich seine Arbeit mit Archetypen. In sehr wenigen, sehr fokussierten Sitzungen gibt er einem ein tiefes Bewusstsein dafür, was man mitbringt und was das mit der Figur zu tun hat. Und am Ende gehst du da raus und denkst: Diese Rolle wurde für mich geschrieben, ich bin der einzige Mensch auf der Welt, der sie so spielen kann!
Zusätzlich wollte ich diesmal aber auch körperlich arbeiten, denn am Set sind Proben kurz und selten. Am Theater hat man mehrere Wochen Probenzeit, in denen man im besten Fall gemeinsam eine eigene Körperlichkeit und Sprache entwickelt. Ich liebe diese Arbeit: Zunächst ist alles immer schwer, hölzern und klischeehaft, aber eines Tages wird das Neue plötzlich leicht und wahrhaftig. Ich erzählte meinem Kollegen Jonas Dassler nach einer Vorstellung davon und er berichtete von seiner Arbeit mit Jean-Louis Rodrigue und Kristof Konrad: Animal Work. Ich habe Kristof direkt geschrieben und über mehrere Zoom-Gespräche haben wir uns körperlich an die Figur angenähert, indem wir ein Tier für Dom gewählt haben. Tiere haben bestimmte Bewegungsmuster: Sie schlafen viel oder kaum, fressen hektisch oder bedächtig, sind angespannt oder gelassen usw. Diese Eigenheiten lassen sich in eine menschliche Figur übersetzen, bis sie sich organisch anfühlt. Kristof schlug mir einen Cocker Spaniel vor, einen Hund also, der für seine lockige, fluffige Schönheit geliebt wird, der stets aufgeweckt ist, schnell, freundlich, aber eigentlich ein Jagdhund. Dank Kristof konnte ich die Dreharbeiten mit dem Gefühl beginnen, nicht nur etwas über die Figur zu wissen, sondern auch ein Gespür für sie zu haben und beweglich zu sein. Ich freue mich schon auf jede weitere Zusammenarbeit mit beiden.
Wenn Sie Medizin-Dramen selbst konsumiere: Sind Sie eher der Typ «Emergency Room» oder «Grey’s Anatomy»?
Ich muss ganz ehrlich zugeben, dass ich erst in der Vorbereitung auf «KRANK» in viele der berühmten Serien reingeschaut habe. Dabei hat mich definitiv «Emergency Room» am meisten gefesselt. Ich habe aber auch ganz bewusst nicht zu viele Medizin-Serien geschaut und bin lieber ins Krankenhaus gegangen und habe mit Ärzt*innen gesprochen, um eher von der Realität beeinflusst zu werden, als dem medialen Bild davon.
Die Serie beleuchtet den stressigen Klinikalltag in Berlin. Inwiefern unterscheidet sich «KRANK Berlin» von anderen Krankenhausserien?
«KRANK Berlin» hat einen besonderen Fokus: Im Zentrum steht der Ort selbst – die Rettungsstelle. Natürlich geht es um die Figuren und ihre persönlichen Geschichten, aber immer in Bezug auf den Ort, im Zentrum steht die Welt, in der sie arbeiten, und was diese Welt mit ihnen macht.
Die Serie folgt keinem klassischen Fall-der-Woche-Prinzip, in dem ausgefallene oder spektakuläre medizinische Fälle im Mittelpunkt stehen. Es ist auch keine Soap, in der sich alles um die privaten Beziehungen der Ärzt*innen und Pfleger*innen dreht. Keine heile Welt mit Halbgöttern in Weiß. Sondern eine, in der die Menschen, die dort arbeiten, sich so sehr aufopfern, dass sie kaum ein Privatleben haben. Weil ihr Mitgefühl und ihre Menschenliebe von einem „kaputtgesparten“ System so stark, wie möglich ausgenutzt wird.
Sie haben an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ studiert – eine der renommiertesten Schauspielschulen. Welche Erfahrungen aus dieser Zeit prägen Sie heute noch?
Die Ausbildung dort hat mich zu einem mündigen, denkenden Schauspieler gemacht, der keine Angst hat, für das einzustehen, woran er glaubt. Doch nicht nur durch das Handwerk, das mir dort mitgegeben wurde, hat mich geprägt, sondern vor allem die Menschen, die ich dort kennengelernt habe: Meine besten Freund*innen und enge künstlerische Weggefährt*innen habe ich dort getroffen. Mittlerweile habe ich die spannende Erfahrung gemacht, dort selbst zu unterrichten. Das hat mich gezwungen, meine eigene, intuitive Arbeit neu zu reflektieren und auch neue Herangehensweisen zu erkunden
Als Schauspieler und Regisseur haben Sie eine besondere Perspektive auf das Erzählen von Geschichten. Gibt es ein Genre oder eine Thematik, die Sie in Zukunft gerne erkunden würden?
Dass ich angefangen habe, selbst zu schreiben und Regie zu führen, hat mir ganz neue künstlerische Freiheiten gegeben. Ich warte nicht auf meine Traumrollen, sondern frage mich selbst, welche Geschichten ich erzählen möchte. Ich habe gerade drei Konzepte fertiggestellt und werde mich für Drehbuchwerkstätten und -förderungen bewerben. Da gibt es ganz, ganz viel, was mich interessieren würde. Ich liebe gute Komödien und habe mich gerade an einem Konzept für eine Heist-Komödie um einen spektakulären Kunstraub versucht. Auch das Thema Islam in den Medien beschäftigt mich sehr, die Polarisierung und Instrumentalisierung. Auch hierzu entwickle ich gerade ein Konzept und auch meine nächste Theaterinszenierung wird diese Themen streifen. Mit besonderer Begeisterung sitze ich gerade an einem Konzept für eine hysterische Mediensatire über Machtmissbrauch. Aber auch als Schauspieler träume ich natürlich von weiteren extremen, abgründigen, herausfordernden Rollen!
Nach Berlinale-Filmen und Serienprojekten – was steht als Nächstes für Sie an? Können Sie uns einen kleinen Ausblick geben?
Am drängendsten ist nun die Vorbereitung für das Theaterprojekt am Theater Bremen. Es wird ein Stück, dass der wunderbare Akın Şipal gerade schreibt und dass um Mesut Özil kreist, aber sehr frei mit dieser öffentlichen Figur und den Projektionen auf diese umgeht und dabei Themen, wie Identität, Freiheit, Öffentlichkeit, Heimat oder Religion streift. Ich bin mit Akın dazu in intensivem Austausch und bereite parallel mit der Dramaturgin Franziska Benack und dem Team die Umsetzung vor. Zwei weitere Regie-Projekte, eines an der Elbphilharmonie und ein weiteres in Cottbus sind ebenfalls in Vorbereitung, darüber darf ich aber noch nichts verraten. Und ich hoffe sehr, dass ich auch bald wieder auf der Bühne stehen darf, meine letzte Premiere ist schon fast ein Jahr her und es juckt mich schon wieder sehr. Es bleibt wie immer spannend!
Vielen Dank das Gespräch!
«KRANK Berlin» ist ab 26. Februar bei AppleTV+ zu sehen.