Interview‚Diese Geschichten und Menschen gibt es wirklich!‘

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Volkan Isbert und Laura Harwarth haben als unabhängige Produzenten die Comedy-Serie «Say.Say.Say» geschaffen, die von Isberts Kumpel inspiriert ist. Es handelt sich um die Arbeit in einem Handyladen.

Wie seid ihr auf die Idee zu «Say.Say.Say» gekommen, und was hat euch inspiriert, eine Workplace-Komödie über einen Handyladenverkäufer zu machen?
Volkan Isbert:
Wenn man als Kind einer Arbeiterfamilie aufwächst, dann erhält die Arbeit eine besondere Bedeutung. Sie ist dann nicht nur ein Mittel, um Geld zu verdienen, sondern etwas Essenzielles. Deshalb wollte ich schon immer eine Geschichte erzählen, die fast ausschließlich an einem Arbeitsplatz erzählt wird. Einer meiner besten Freunde hat jahrelang in einem Handystore gearbeitet und mir eine Geschichte nach der anderen erzählt – ob skurrile Menschen, die täglich mit den absurdesten Problemen erscheinen, ob Mitarbeitende, die zwischen Genie und Wahnsinn einen Laden führen oder Situationen, bei denen man denkt, das muss doch erfunden sein. Aber egal wann ich ihn in dem Store besucht habe: Diese Geschichten und Menschen gibt es wirklich! Und da war für mich klar, dass der Handyladen und die Abenteuer eines Handyladenverkäufers meine Workplace-Story werden.

Ihr habt den Serienpiloten auf Rückstellung und mit Product Placement finanziert. Welche Herausforderungen gab es dabei, und würdet ihr diesen Weg anderen Filmemachern empfehlen?
Laura Hartwarth:
Ich tue mich schwer damit die Arbeit auf Rückstellung zu empfehlen. Sie basiert immer darauf, dass Menschen ein Vorschussvertrauen in ein Produkt stecken müssen und nicht wissen, inwieweit und ob sich ihre Arbeit später rentiert. Es war für uns als neu gegründete Filmproduktion aber die einzige Möglichkeit schnell und vor allen Dingen künstlerisch frei einen ersten Arbeitsnachweis für „Human Ideas“ zu realisieren und damit auch die Basis für weitere Projekte zu schaffen. Was das Thema Product Placement angeht werden wir aber weiterhin Partner aus der freien Wirtschaft suchen. Wir können als Produzenten längst nicht mehr ausschließlich auf Sender- und Fördergelder bauen, die zunehmend knapper werden. Es ist wichtig offen zu sein für alternative Finanzierungswege.

Messi, Tanja, Kevin und Rosi – die Figuren klingen alle ziemlich eigenwillig. Gab es reale Vorbilder für die Charaktere oder bestimmte Erlebnisse, die in die Serie eingeflossen sind?
Volkan Isbert:
Die stärksten Charaktere stammen vermutlich alle aus dem echten Leben. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, die Figuren in unseren Projekten in den Fokus zu rücken, die in sonstigen deutschen Filmen und Serien nicht stattfinden. Allerhöchstens als Nebenfiguren. Unsere Gesellschaft ist reich an so vielen unterschiedlichen Menschen, aus so vielen unterschiedlichen Lebensrealitäten. Und dafür möchten wir auch in Zukunft stehen. Für die Geschichten von Menschen, deren Stories sonst keiner erzählt. Aber um die Frage nochmal abschließend zu beantworten: Ja, alle Charaktere fußen auf echten Personen.

Der Hauptcharakter Messi will unbedingt berühmt werden. Ist das auch eine Art Satire auf die heutige Influencer- und Social-Media-Welt?
Volkan Isbert:
Dass Berühmtwerden und -sein ein großes Thema der letzten zweieinhalb Jahrzehnte ist, ist ja hinlänglich bekannt. Die spannendste Frage, die ich mir hierbei stelle, ist, wer profitiert am Ende eigentlich davon? Man kann ja jetzt nicht behaupten, dass irgendwelche Konzerne nicht reich damit geworden wären.

Wie würdet ihr den Humor von «Say.Say.Say.» beschreiben? Gibt es bestimmte Serien oder Filme, die euch bei der Tonalität inspiriert haben?
Volkan Isbert:
: Auf jeden Fall. Eigentlich habe ich genau auf diese Frage gewartet, weil ich wirklich viel zu gerne stundenlang über Humor abnerde, aber damit langweile ich die Leute bestimmt nur. Ich glaube, dass kulturell betrachtet, der Humor eine sehr wichtige Rolle einnimmt und damit auch einer Tradition folgt – also, wenn man es ernst meint. Ich kann jetzt nicht kommen und sagen: ,Hey, ich habe alles erfunden.‘ Damit macht man sich lächerlich. Es gab und gibt weltweit so viele unzählige Menschen, die ihr Leben dem Komischen gewidmet haben. Ich kann nur sagen, dass mich die Arbeit aller, die ich in meinem bisherigen Leben sehen, lesen oder hören durfte, geprägt haben und es nach wie vor tun. An der einen oder anderen Stelle gibt es dann als Zeichen der Dankbarkeit das ein oder andere Zitat.

Bei «Say.Say.Say.» sind amerikanische Serien wie «Malcolm mittendrin», «Scrubs» oder «Vice Principals» ganz klare Inspirationsquellen. Das bezieht sich hierbei um den Spirit. Man weiß als Zuschauer bei all diesen Serien nie, was gleich als nächstes passiert. Sobald etwas sehr Schlaues gesagt wird, passiert unmittelbar danach etwas total Dummes. Während ich in einem Moment lache, werde ich dann doch wieder traurig. Es ist eigentlich wie ein cooles Album mit unterschiedlichen Songs, die man immer wieder rauf- und runterhört.

Laura Hartwarth: Und ein bisschen «Frankenstein Junior» darf natürlich auch nicht fehlen.

Die Serie spielt in einer Filiale eines fiktiven Tech-Konzerns. Wie habt ihr die Welt von «Say.Say.Say.» visuell und stilistisch umgesetzt?
Laura Hartwarth:
Wir hatten durch das Vertrauen von erstklassigen Filmgeräteverleihern wie Maier Bros. und Vantage Berlin die Möglichkeit, die Serie auf technisch höchstem Niveau zu drehen. «Say.Say.Say.» wurde in Cinemascope und auf Hawk- und Kinoptik Paris-Optiken gedreht, was mit Sicherheit schon eine ungewöhnliche Entscheidung für das Format einer Comedyserie ist. Wir haben uns ganz bewusst für ungewöhnliche Kadrierungen entschieden und eine schräge Mischung aus sehr „cleanen“ und „roughen“ Looks. Die unabhängige Produktion der Serie hat uns die Möglichkeit gegeben, uns auch visuell von anderen Comedyserien abzuheben.

Volkan Isbert: Ansonsten haben wir eigentlich alles gemacht, was so ein Konzern auch tut. Ich habe sogar extra für diese Serie eine fiktive App erfunden. Die „SEP-App“. Der Sensitive Emotion Player. Diese funktioniert so: Man trägt eine Uhr auf der die App installiert ist, dann misst diese in gewissen Situationen den Puls und es ertönt z.B. an traurigen oder erschreckenden Momenten im Leben laut passende Musik dazu. Die Facetten des Kapitalismus: Es wird jetzt Geld damit gemacht, dass man Gefühle hören kann. Ach, und sollte diese Idee jetzt jemand in der Realität umsetzen, dann erhalte ich bitte Tantiemen.

Wie habt ihr die Schauspieler für die Serie gefunden? Gab es besondere Herausforderungen oder Überraschungen beim Casting-Prozess? Gab es Gagen?
Laura Harwarth:
Überraschungen gab es für uns nicht, aber wir hoffen, dass wir mit der Besetzung das Publikum überraschen können. Wir haben besonders viel Zeit in den Castingprozess investiert. Allein für die Rolle „Sandra“ haben wir uns 3.000 Schauspielprofile angesehen. Wir wollten neben bekannten Gesichtern wie denen von Susanne Bredehöft, die gerade erst den „Deutschen Schauspielpreis“ erhalten hat, und Comedyurgestein Hanno Friedrich, ganz neue und noch recht unbekannte Gesichter finden. Leider gibt es in Deutschland ja die Angewohnheit immer die gleichen Gesichter zu besetzen, was sich mittlerweile doch von selbst abnutzt. Mit Leona Blank als Sandra und Florian Waschkewitz als Kevin haben wir besondere Glücksgriffe gemacht und mit Tristan Göbel und David Hürten zwei unfassbar talentierte Schauspieler an Bord geholt. Wir sind sehr glücklich mit der Hauptbesetzung. Daher muss es jetzt auch einfach weitergehen.

Ihr habt eure eigene Produktionsfirma gegründet. Wie sieht euer langfristiger Plan aus, und welche Projekte plant ihr nach «Say.Say.Say»?
Laura Hartwarth:
Wir haben zwei Drehbuchgeförderte Kinospielfilme, die nach Finanzierungen suchen. Eine Komödie und einen Coming-of-Age-Thriller. Und einige sehr besondere Serienprojekte, alles genreübergreifende Comedyserien in kürzeren aber auch in längeren Formaten. Wir werden uns in Zukunft stark darauf fokussieren, international nach Partnern zu suchen. Für die Komödie „Warten auf Esteban“ trommeln wir gerade einen hochkarätigen Cast außerhalb von Deutschland zusammen. Uns ist es in Deutschland einfach zu eng geworden, die Sender führen hier sowas wie eine Hegemonialherrschaft, die es kaum möglich macht als Autorenfilmemacher frei zu arbeiten und natürlich spielen die Produzenten das Spiel mit. Das war ja überhaupt der Grund, warum wir eine eigene Produktionsfirma gegründet haben und wir sind da längst nicht die einzigen Filmemacher, die um mehr Unabhängigkeit kämpfen oder direkt ins Ausland gehen.

Wie geht es mit der Serie weiter? Gibt es bereits Gespräche mit Streaming-Diensten oder TV-Sendern, oder plant ihr eine alternative Veröffentlichung?
Volkan Isbert:
Der Pilot ist gerade erst fertiggestellt. Natürlich werden wir ihn den Sendern und Streamern vorstellen. Aber wir schließen auch andere Wege nicht aus. Unsere Werbepartner stehen nach wie vor hinter dem Projekt und wir sind auch im Gespräch mit möglichen neuen Investoren. Wir glauben an die Serie und sind uns sicher, dass sie ihren Weg gehen wird. So oder so.

Ihr erwähnt, dass sich der Markt zunehmend monopolisiert. Welche Hoffnungen und Wünsche habt ihr für die Zukunft der deutschen Serienlandschaft?
Volkan Isbert:
Ach, die Liste ist lang, vor allem aber mehr Risikobereitschaft. Man sollte mal was Neues wagen und nicht immer die gleiche Leier abspulen. Dazu gehört es auch jungen Autorenfilmemachern zu vertrauen. Mit Remakes aus anderen Ländern und der tausendsten gleichen Krimireihe wird das aber sicherlich nichts. Es fehlt etwas Innovatives, Visionäres.

Laura Hartwarth: Nur so kann Deutschland auch international wettbewerbsfähig sein. Aber alle haben so viel Angst zu scheitern, seien es die Geldgeber oder die Kreativen, das führt zu Stillstand. Auf Nummer sicher gehen, kann man in der Kunst einfach nicht. Es wird mal wieder Zeit, mutig zu sein, vielleicht auch einmal inkorrekt. An Kunst darf man sich reiben.

Stichwort Bürokratie: Sollte das Gründen in Deutschland erleichtert werden? Was störte euch zuletzt daran?
Laura Hartwarth:
Eine Firma ist schnell gegründet. Viel wichtiger ist die Frage, wie kann sich ein neues Unternehmen in der Film- und Medienbranche etablieren und dann langfristig halten. Wir sehen extremen Nachholbedarf in der Förderung von Nachwuchsproduzenten, wenn die eh schon geringen Mittel immer an die üblichen Verdächtigen gehen. Als Alumni des Mediengründerzentrums wurde uns bei der Verabschiedung seitens Filmförderung gesagt, wir sollten jetzt aber nicht denken, wir können am Tropf der Film- und Medienstiftung NRW hängen. Da fragt man sich natürlich, was das für die Zukunft bedeutet. Man braucht schließlich gerade am Anfang auch den nötigen Startsupport, um sich und seine Qualitäten zu beweisen.

Eine junge Produktionsfirma soll tolle Produkte liefern, aber gleichzeitig schon familienfreundlich, klimaneutral und in einer tollen Location mit Kantine untergebracht haben. 30 Tage Urlaub pro Jahr sind in der Branche auch oft gegeben. Wo seht ihr noch Nachholbedarf?
Laura Hartwarth:
Wir sind große Befürworter von Green Producing. Fakt ist, dass bei sinkenden Budgets und steigenden Preisen viele Vorstellungen einfach realitätsfern bleiben. Das gilt genauso für familienfreundliche Dreharbeiten. Momentan sind wir aber noch gar nicht an dieser Fragestellung angekommen. Gerade geht es um eine wesentlich existentiellere Frage: Wie drehen wir überhaupt und werden wir hier mit unserem Unternehmen überleben können?

Danke für Ihre Zeit!

Die Produktionsfirma Human Ideas Filmproduktion kann unter humanideals.de erreicht werden.