Serientäter«Doctor Who»: Das Stolpern in die zweite Staffel

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«Doctor Who» ist für die BBC eine Quotenkatastrophe. Der Start der zweiten Staffel, "The Robot Revolution", konnte am Samstag auf BBC One gerade einmal rund zwei Mio Zuschauer anlocken. Es verwundert nicht, dass längst Meldungen über eine Absetzung der Serie durch die üblichen Gerüchteküchen dampfen.

Am 26. März 2005 kehrte «Doctor Who» nach einer 16-jährigen Zwangspause eindrucksvoll auf die Bildschirme zurück. Der Neustart avancierte nicht nur im Vereinigten Königreich zum Publikumserfolg – auch international gewann «Doctor Who» rasch an Popularität. Der Doctor wurde zum globalen Fernsehphänomen und erreichte neue Zielgruppen weit über die klassische Sci-Fi-Fangemeinde hinaus.

Zwanzig Jahre später allerdings wirkt die Serie nicht mehr ganz so energiegeladen wie beim großen Comeback. Hinter den Kulissen rumort es gewaltig – so sehr, dass man meinen könnte, das Drama abseits der Kamera verdiene eine eigene Serie. Und diese hätte zweifellos Potenzial.

Pünktlich zum 20-jährigen Jubiläum – sofern man 2005 als neuen Startpunkt zählt – mehren sich Berichte, dass Ncuti Gatwa, der 15. Doctor, bereits nach nur zwei Staffeln ausgestiegen sei. Mehr noch: Seine Abschiedsszene soll bereits im Kasten sein. Sollte sich das bestätigen, wäre es ein herber Rückschlag für eine Serie, die ohnehin mit einer Identitätskrise zu kämpfen hat.

Doch Gatwas möglicher Abgang ist nur ein Teil des Problems. Auch über die Zukunft hinter der Kamera wird spekuliert. Im Gespräch als neuer Showrunner: Toby Whithouse – Schöpfer von «Being Human» und erfahrener Genre-Autor, der bereits Episoden für «Doctor Who» und «Torchwood» beigesteuert hat. Eine kompetente Wahl, zweifellos. Doch wäre das nicht ein erstaunlich schneller Kurswechsel, nachdem die Rückkehr von Russell T Davies eben erst mit der Euphorie über eine neue, vermeintlich goldene Ära gefeiert wurde?

Davies' Rückkehr wurde von den Fans mit riesigen Erwartungen begleitet. Davies hat vor 20 Jahren den Doctor nach seiner 1989 verordneten Zwangspause zurück auf die Bildschirme gebracht und neu definiert, ohne seine Geschichte zu ignorieren. Mehr noch als das aber hat er narrativ den Doctor auf ein ganz neues Podest erhoben. Davies` Jahre waren goldene Jahre.

Die erste Staffel des «Doctor Who»-Comebacks unter Russell T Davies ist hinter den Erwartungen zurückgeblieben – und das vor allem in einer entscheidenden Disziplin: den Einschaltquoten. Inhaltlich mag die Serie weiterhin leidenschaftlich diskutiert werden, doch in Großbritannien, wo «Doctor Who» nach wie vor als BBC-Produktion läuft, konnte Davies nach seiner Rückkehr weniger Zuschauerinnen und Zuschauer erreichen als die letzte Staffel unter Chris Chibnall und Jodie Whittaker – und das, obwohl diese Ära weithin als Tiefpunkt der modernen Seriengeschichte gilt.

Chibnall wurde vielfach dafür kritisiert, die Serie mit seiner ersten Staffel inhaltlich desaströs gestartet zu haben. Und Whittaker – die erste Frau in der Hauptrolle – konnte trotz starker Ambitionen nie wirklich als zentrale Figur der Serie überzeugen. Die Inszenierung wirkte zögerlich, ihr Doctor blieb blass. Der von vielen erhoffte frische Impuls blieb aus.

Für die BBC ist der aktuelle Zustand der Serie problematisch. Und auch bei Disney+, dem internationalen Distributionspartner der neuen «Doctor Who»-Staffeln, dürften die aktuellen Entwicklungen für Unruhe sorgen. Der Streamingdienst des US-Mediengiganten hatte tief in die Taschen gegriffen, um sich die weltweiten Rechte zu sichern. Offizielle Zahlen wurden nie kommuniziert, doch es ist von einem Millionenbetrag auszugehen. Wenn die Marke «Doctor Who» nun ausgerechnet im Heimatmarkt an Zugkraft verliert, dürfte dies auch international nicht ohne Folgen bleiben. Damit stellt sich erneut die Frage: Steht «Doctor Who» an einem kreativen Wendepunkt – oder bereits am Abgrund?

Neu sind die Herausforderungen jedenfalls nicht. Schon in der späteren Phase unter Whittacker-Vorgänger Peter Capaldi wurde deutlich, dass sich die Serie zunehmend schwertat, ihre Balance zu halten. Capaldi selbst lieferte eine darstellerisch hochgelobte Performance – doch viele Drehbücher konnten diesem Niveau nicht standhalten. Häufig war es Capaldis schauspielerische Präsenz allein, die episodenweise dramaturgische Schwächen abfing.

Die darauffolgenden Chibnall-Whittaker-Jahre markierten eine Phase des kreativen Niedergangs. Die Serie verlor ihre erzählerische Tiefe zugunsten moralischer Botschaften, die oft zu plakativ präsentiert wurden. Statt mit Komplexität und Charakterentwicklung zu fesseln, wirkten viele Folgen belehrend und eindimensional. Die einst so meisterhaft austarierte Verbindung von Gesellschaftskommentar und unterhaltsamem Erzählen ging verloren.

Die Kritik an einer zunehmenden Politisierung von «Doctor Who» – häufig unter dem Schlagwort „Wokeness“ diskutiert – ist nicht aus der Luft gegriffen, auch wenn manche Debatten mit überzogener Schärfe geführt werden. Unbestreitbar ist jedoch: In den jüngeren Staffeln wurde Diversität vielfach betont, ohne sie stets organisch in die Erzählstruktur einzubetten. Haltung ersetzte zu oft Handlung, Repräsentation stand nicht selten über Charakterentwicklung.

Die großen Hoffnungen, die mit der Rückkehr von Russell T Davies verbunden waren, haben sich bislang kaum erfüllt – weder in Hinblick auf die Zuschauerzahlen noch auf die narrative Substanz. Nach drei stilistisch durchwachsenen, aber weitgehend wohlwollend aufgenommenen Specials gelang Davies mit den ersten beiden Episoden der neuen Staffel kein überzeugender Einstieg. Im Gegenteil: Die Eröffnung fiel dramaturgisch enttäuschend aus – träge, inkohärent und emotional blass. Es brauchte ein Gastdrehbuch von Steven Moffat, um der Staffel spürbar neues Tempo und erzählerischen Fokus zu verleihen. Seither zeigt die Serie wieder gelegentliche Glanzlichter, doch der Fehlstart bleibt haften – nicht zuletzt, weil Davies selbst daran beteiligt war.

Vor diesem Hintergrund stellt sich zunehmend die Frage, ob «Doctor Who» nicht von einer kreativen Atempause profitieren könnte. Die 16-jährige Sendepause vor dem Neustart 2005 war schmerzhaft, aber letztlich heilsam. Sie schuf Raum für neue Visionen, ein frisches Konzept – und die erfolgreiche Rückkehr der Serie in die Popkultur. Auch heute könnte ein bewusst gesetzter Einschnitt helfen, um das kreative Profil zu schärfen und die Essenz der Serie neu zu entdecken. Denn was nützt eine endlose Fortsetzung, wenn die erzählerische Seele von «Doctor Who» – die Fähigkeit, Zuschauer in Raum und Zeit zu entführen, sie zu berühren und zu überraschen – zunehmend verloren geht? Eine Pause birgt Risiken, zweifellos. Doch sie könnte genau die Zäsur sein, die es braucht, um neue künstlerische Energie freizusetzen. Vielleicht muss auch der Doctor – wie jeder Held – gelegentlich verschwinden, um mit neuer Stärke zurückzukehren.

Während sich die Tardis weiterhin durch das Universum bewegt, brodelt es hinter den Kulissen: Personalien, Gerüchte, Spekulationen – vieles ist im Fluss. Einige der in diesem Text verarbeiteten Informationen könnten schon bei Erscheinen überholt sein. Doch die eigentliche Sorge bleibt aktuell: Die nun angelaufene Staffel könnte sich als eine der entscheidenden in der Geschichte von «Doctor Who» erweisen. Eine Schicksalsstaffel – mit ungewissem Ausgang.

PS: Disney+ rückt leider keine Klickzahlen raus. Die neue Staffel ist auf Disney+ zu sehen.

PS 2: Das Weihnachtsspecial hat auf dem BBC iPlayer-Stream immerhin sieben Millionen Haushalte erreicht.